Adrenalin: 7 Mutproben in der Apostelgeschichte

Der Evangelist Lukas ist der einzige, der noch einen Fortsetzungsband nachgeschoben hat – und (auch) der ist nichts für schwache Nerven: Jesus verschwindet trotz seiner Auferstehung von der Bildfläche, damit ihn nun geisterfüllte Apostel bezeugen – “in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans äußerste Ende der Erde” (Kapitel 1, Vers 8). Auch heute klingt diese Mission (im Vollsinn des Wortes) immer noch abenteuerlich, obwohl wir inzwischen durch Google Maps und Flugzeuge sowie andere Entwicklungen viel selbstverständlicher herumkommen als damals. Was nach wie vor am meisten Überwindung kostet, sind ja zeitlose Herausforderungen wie die folgenden.

1. Tut euren Besitz zusammen!

Die Verse 42-47 von Kapitel 2 setzen einen Standard, dem von Anfang an nur radikal veränderte Herzen entsprechen konnten. Die tiefgreifende Wirkung der vorangegangenen Pfingsterfahrung wird so jedenfalls erkennbar (V. 44-46): Tausende teilten auf einmal alles – offenbar ohne Angst, dabei ausgenutzt zu werden – und das auch noch täglich! Aus erstaunlicher Hilfsbereitschaft heraus wurden sogar Grundstücke scheinbar schmerzfrei verkauft, aber man konnte auch einfach sein Haus gastfreundlich zur Verfügung stellen! Nicht nur damals war dieser familiäre Rahmen nämlich für das Gemeindeleben (V. 42) von grundlegender Bedeutung. Er stellt bis heute die Konstante dar, während nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. die Form der öffentlichen Zusammenkunft variabel geblieben ist. Für jeden Menschen in Jerusalem und darüber hinaus lautet(e) eine zentrale Testfrage zum Einstieg also: Bist auch du bereit, die Tür aufzumachen und dein Recht auf Privates weitgehend aufzugeben?

2. Wählt einen Nikolaus!

Die Verse 1-7 von Kapitel 6 handeln davon, wie an sieben Männer die (mit der Zahl der Glaubenden ebenfalls wachsende) Aufgabe der Lebensmittelverteilung übertragen wurde. Passenderweise hat einer den gleichen Namen wie der Bischof aus späterer Zeit, an dessen Wohltätigkeit uns die vorweihnachtlichen Klone mit Bart und Sack noch immer erinnern. Auch die Herkunft aus der heutigen Südtürkei haben beide gemeinsam. Der hier (V. 5) erwähnte Entlaster für die (hebräischen) Zwölf stammte aus Antiochia und repräsentierte zusammen mit den anderen sechs Verantwortlichen das Griechisch sprechende Judentum. Zu diesem ist er offenbar als einziger erst im Laufe seines Lebens übergetreten und nicht bereits hineingeboren worden. Es war also ein kühner Schritt, (überhaupt die Sieben und darunter insbesondere) ihn zu wählen – eine zeichenhafte Kritik an denen, die jüdische Identität vor allem durch Abstammung sowie kulturelle Reinhaltung definierten und weniger durch eine bewährte Glaubenspraxis (z.B. gegenüber Witwen)! Gerade ein Alteingesessener – z.B. mit priesterlichem Hintergrund (V. 7) – überlegt(e) da vielleicht zweimal: Kann ich mich mit einer Gemeindeleitung identifizieren, in der Emporkömmlinge von irgendwoher das Sagen haben?

3. Hört auf den Geist!

Die Verse 1-18 von Kapitel 11 markieren den Durchbruch einer Erkenntnis, die in drei Wörtern besteht – “auch die/den Nichtjuden” (V. 1 / V. 18). Dass inzwischen sogar an einem Magier aus Samarien sowie an einem Eunuch aus Äthiopien und nun ebenfalls an einem römischen Hauptmann die Taufe praktiziert worden war, konnte langsam nicht mehr ohne Folgen für die Theorie bleiben: Gott wollte offensichtlich weniger ein (z.B. vom unreinen Fleischkonsum der Umwelt) unbeflecktes Judentum verteidigen (V. 9), sondern vielmehr die Heiligung aller Völker in Angriff nehmen. In Judäa brauchte da selbst die Jesus-Schule viel gutes Zureden, bis in ihrem Rahmen des Möglichen endlich Platz für eine so maximale Vision war (und nicht nur für ein paar Grenz- oder Ausnahmefälle)! Denn diese (von Petrus und den anderen Aposteln tapfer bestandene) Prüfung führt(e) sowas von weit aus der Kontroll- und Komfortzone: Wagen wir es, uns mehr an der dynamischen Stimme von oben (und weniger an statischen Überzeugungen) zu orientieren?

4. Flieht langsam!

Die Verse 1-7 von Kapitel 14 berichten von einer weiteren Stadt, die heute in der Türkei liegt: Im Hauptort von Lykaonien hielt sich Paulus auf seiner ersten Missionsreise bemerkenswert lange auf (V. 3), obwohl gegen ihn und seinen Mentor Barnabas ein lebensgefährlicher Anschlag vorbereitet wurde. Es war nämlich gleichzeitig auch eine besondere Offenheit für die Botschaft der beiden Männer da sowie für Wunder – viele Menschen hatten zum Glauben gefunden. Die Flucht wurde also erst ergriffen, als der Tod durch Steinigung unmittelbar bevorstand – und selbst dann ging es nur 1-2 Orte weiter, so dass sich die Gute Nachricht von Jesus umso mehr im ganzen Gebiet verbreitete (V. 6-7). Echt bewundernswerte Helden! Und doch sind es einfach nur zwei unter vielen, die sich auf folgenden Aufruf melde(te)n: Wer vertraut auf den souveränen Zeitplan desjenigen, der wirklich Herr der Lage ist?

5. Bleibt ohne Frontmann zurück!

Die Verse 10-15 von Kapitel 17 geben spannende Einblicke in die letzte von insgesamt drei Stationen in der Provinz Mazedonien: Silas und Timotheus werden erwähnt – Paulus hat sie auf seiner zweiten Missionsreise dabei. Nun waren die Männer gerade aus Thessalonich vertrieben worden, doch in nur ca. 70 km Entfernung fand sich noch einmal eine andere jüdische Gemeinde – und dort stellte man erfreulicherweise fest, dass es doch nicht immer zwingend zum Bruch mit der Synagoge kam (V. 11). Also blieben dort wenigstens die beiden Begleiter auch wieder gefährlich lange, statt gleich weiter nach Athen zu ziehen (V. 14-15). Damit kam für sie zum Risiko der Verfolgung hinzu, dass ihnen nicht einmal die Präsenz eines sattelfesten Vorreiters das Gefühl von Sicherheit gab! So etwas erfordert(e) wohl mentale Vorbereitung: Trauen wir uns, auch bei Abwesenheit der Sturmspitze mit der Botschaft Gottes am Ball zu bleiben?

6. Betet mit Kindern!

Die Verse 1-6 von Kapitel 21 dokumentieren mit wenigen Worten eine Schifffahrt nach Phönizien und eine bewegende Woche dort: Lukas schreibt in “wir”-Form – er war also auf der dritten Missionsreise von Paulus auch persönlich mit dabei. Dieser wird nun ein weiteres von mehreren Malen prophetisch vor (Lebensgefahr in) Jerusalem gewarnt (V. 4). Auch beim Abschied wird, wie an vielen anderen Stellen ebenfalls, das Mitwirken von Frauen hervorgehoben – allerdings nur hier explizit inklusive Nachwuchs (V. 5). Ein reines Männergebet am Meeresstrand wäre ja auch schön, aber die Familienatmosphäre ist genauso Ausdruck geistlicher und sozialer Neuausrichtung! Am Selbstbild eines wahren Kerls kratzt(e) das Spielen einer weniger exklusiven Rolle nicht mehr: Soll ich um meines Glaubens willen (heroisch vor der Erwachsenenwelt in den Tod oder erst einmal) zusammen mit Minderjährigen auf die Knie gehen?

7. Seid heilende Gäste!

Die Verse 1-10 von Kapitel 28 erzählen von einer dreimonatigen Überwinterung auf einer Insel, die in den meisten Bibelübersetzungen mit Malta identifiziert wird: Paulus befindet sich auf seiner vierten Missionsreise – als Teil eines Gefangenentransports nach Rom (einige Zeit nach seiner Ergreifung in Jerusalem). Und beinahe hätte die Geschichte mit einem Schiffsunglück geendet (bzw. wir könnten sie gar nicht erst lesen, weil Lukas ja auch mit untergegangen wäre). Nun aber hat sich unter gastfreundlichen Leuten eine Gelegenheit für Krankenheilung aufgetan (V. 7-9). Dabei besteht offenbar ein Zusammenhang damit, dass der dort bisher kultivierte Glaube an die ausgleichende Rache(göttin) gerade erschüttert ist (V. 3-6). Die Eingeborenen begegnen nämlich entgegen aller Erwartung in einem (vermeintlichen) Mörder dem Gott, der in Wirklichkeit für Genugtuung sorgt! Es macht(e) diesem offenbar geradezu Freude, jemanden mit problematischem Führungszeugnis zum Herumtragen seiner Gerechtigkeit aufzufordern: Willst du verfügbar sein, wenn Menschen dich einladen und ich sie durch dich von ungesunder Religiosität und/oder anderen lebensfeindlichen Diagnosen befreien möchte?

Ganz schön krass – schafft so etwas nicht nur eine Elite?

Nein, da kann grundsätzlich wirklich jeder und jede mitmachen! Lies doch von den sieben Abschnitten noch einmal nur die Frage, die jeweils am Ende steht: Du könntest einfach mal mit den Mutproben 1 und 7 einsteigen und staunen, wie viel unerwartet Befreiendes durch offene Haustüren kommen kann. Vielleicht stellst du dabei fest, dass dich z.B. Emporkömmlinge oder Minderjährige verunsichern, und du fährst für die Neuausrichtung deiner Identität mit den Mutproben 2 und 6 fort. Und wenn dich dann die Abwesenheit menschlicher Sicherheit bereits weniger in Panik versetzt, gibt es mit den Mutproben 4 und 5 noch weitere Vertiefungsmöglichkeiten für dein Vertrauen auf den Herrn.

Die Mutter all dieser Mutproben ist die Nr. 3 – Hören und Tun, was die Stimme von oben für möglich erklärt! Für Lukas ist das hier offenbar DIE zentrale Offenbarung an Petrus – alles bis dahin ist deren Vorgeschichte, alles danach deren Anwendung sozusagen. Ja, durch sie wird die Apostelgeschichte genauso in zwei Teile gegliedert wie das Evangelium durch die Stelle, wo Jesus von demselben Schüler als “Christus” erkannt wird (Lk 9,20; vgl. Mt 16,16 u. Mk 8,29).

Online-Ressourcen zur Apostelgeschichte

Vom Projekt bibletunes kann man sich hier die entsprechende Podcast-Reihe herunterladen (komplett gesprochener Text + kurzer Impuls = je 5-10 min). Unter den hilfreichen Clips von Das Bibel Projekt findet man den hilfreichen Überblick über das Ganze: Teil 1 und Teil 2 (jeweils 8 min). Und von Bibel TV gibt es ein Interview mit einer Jüdin, welche die christliche Wahrnehmung von einer „Bekehrung des Saulus zum Paulus“ zu Recht korrigiert:

Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich werde nach einer Pause mit Etappe 3 fortfahren und so nächsten Monat einen kurzen Artikel zum Buch Genesis schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zur Apostelgeschichte würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!

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