Herabwürdigung: 2x Reagieren im Buch Jesaja

Eigentlich sind alle Menschen gleich viel wert. Trotzdem ist der Punkt so schnell erreicht, wo z.B. ein Ehepartner vom anderen Verachtung zu spüren bekommt – oder eine Personengruppe von der anderen Unterdrückung. Und wer eben noch Opfer war, kann in Kürze selbst Täter oder Täterin werden. Solange das so ist, bleibt jedenfalls die Auftragslage z.B. im Waffenhandel stabil. Allerdings gibt es durchaus Alternativen zum Weiterdrehen der Gewaltspirale – nicht zuletzt in der Bibel. Zwar hätte das jüdische Volk in seiner Geschichte vielleicht gerne häufiger zurückgeschlagen – aber oft genug war es dazu gar nicht erst in der Lage. Und so blieben Reaktionsmöglichkeiten übrig, auf welche man sonst wohl gar nicht gekommen wäre. In meinem ersten Blogartikel zum Jesajabuch habe ich unter anderem über eine göttliche Botschaft an die Entwurzelten geschrieben. Um eine solche geht es auch hier noch einmal und damit – wie die folgenden zwei Beispiele zeigen – um einen völligen Bruch mit der herkömmlichen Logik.

1. Freude und Dank

Zur sogenannten Jesaja-Apokalypse gehört Kapitel 25 (sowie das vorangehende und die beiden darauffolgenden). Apokalyptisch – d.h. wörtlich „aufdeckend“ – daran ist, dass es hier um das göttliche Verschlingen der Decke über allen Völkern (Vers 7) und um das endzeitliche Mahl (V. 6) eines neuen Gottesvolkes geht. Für diese künftig erhöhten Elenden steht der Berg (Zion), auf dem die Hand des HERRN ruht – während Moab symbolisch für die dann erniedrigten Hohen steht (V. 10-12). Der HERR hilft den auf ihn Hoffenden (V. 9) – und der Jubel darüber kann schon jetzt vorweggenommen werden: „Den Tod hat er für immer verschlungen, und die Tränen wird Gott der HERR von allen Gesichtern wischen, und die Schmach seines Volks wird er verschwinden lassen von der ganzen Erde“ (V. 8).

Ähnlich verhält sich davor gegenüber dem Gesang der gewalttätigen Tyrannen der Lobpreis des Machtlosen (V. 1-5): Der HERR demütigt das „Lärmen der Fremden“ (symbolisiert durch die befestigte, dann aber zertrümmerte Stadt), während er selbst „Festung für den Armen in seiner Not“ ist. Wer an ein solches Ende und an einen solchen Gott glaubt, kann diesen natürlich bereits vorher erheben! Das neutestamentliche Buch Offenbarung wird es dann so ausdrücken: Die Menge der Verfolgten auf der Erde ruft, weil sie das Rufen der Menge im Himmel (und die Stimme von Gottes Thron her) gehört hat. Verfolgung wird so – mit Blick auf den göttlichen Richter – zum Grund für Anbetung.

2. Treue und Umkehr

Eines der vier sogenannten Gottesknechtslieder befindet sich in Kapitel 50. Dort wird die Frage gestellt, wer auf den Gottesknecht bzw. den Diener des HERRN hört (Vers 10). Dieses Vertrauen sei Stütze beim Gehen in der Finsternis – während andere Feuer entfachen sowie Pfeile in Brand setzen und in diese danach selbst hineinlaufen (V. 11). Der HERR habe nämlich seinem Diener das Ohr aufgetan und ihm auch die Zunge eines Schülers gegeben, damit er den Müden mit einem Wort helfe (V. 4-5). Der Diener sagt von sich aber auch (V. 6): „Denen, die schlugen, habe ich meinen Rücken dargeboten, und meine Wangen denen, die mich an den Haaren rissen, gegen Schmähungen und Speichel habe ich mein Angesicht nicht verdeckt.“ Offenbar braucht der standhafte Diener göttlichen Beistand in einem Rechtsstreit, wodurch er in Schande geraten / schuldig gesprochen werden soll (V. 7-9).

Ums Hören geht es auch, wenn der vergeblich rufende HERR davor über nationale und ökologische Katastrophen spricht (V. 1-3): Dass die Leute (von Juda) „verkauft“ und ihre Mutter (Zion) „verstossen“ worden sei, habe mehr mit den eigenen Verschuldungen / Vergehen und weniger mit dem HERRN zu tun. Der schwarze Himmel und das versiegende Wasser seien allerdings eine Folge göttlichen Trauerns und Scheltens. Unheil wird hier also zum Grund dafür, sich selbst zu prüfen. Diese Prüfung bestanden hat auf jeden Fall – Jesus! Wie kein anderer erfüllte er das Vorbild des geheimnisvollen Gottesknechts, den das Neue Testament deshalb messianisch deutet. Ja – erst so ist es überhaupt möglich geworden, die bisherigen Erwartungen an den prophezeiten Messias mit einem Wunderheiler aus Nazareth in Einklang zu bringen!

Hat Karl Marx so etwas nicht zu Recht als Opium des Volkes kritisiert?

Tatsächlich besteht die Gefahr von religiösen Reaktionen, die ein Leben in Würde für alle Menschen behindern: Soziale Ungerechtigkeit wird zumindest vorläufig akzeptiert, weil Gott sie ja dann irgendwann beseitige oder weil sie gar verdiente Sündenbestrafung sei. Gerade das Alte Testament unterstützt aber sehr wohl den Kampf gegen Armut – auch wenn die biblischen Protestparolen sich von parteipolitischen Ideologien unterscheiden. Eine Apokalypse verschleiert das Schmachvolle NICHT, sondern ist dessen Offenlegung! Und auch der Gottesknecht schwächt die Stimme der Geschmähten NICHT ab, sondern ist deren Verstärker!

Auch im Neuen Testament sieht man hier kein Entweder-Oder (s. Hebr 10,32-36): Ja – man brauche Ausdauer und das Wissen und etwas Besseres und Bleibendes. So könne man nämlich den Raub von Hab und Gut hinnehmen oder das harte (Mit-)Leiden durchstehen, wenn man beleidigt und bedrängt wird. Gleichzeitig tue man freimütig (= mit der notwendigen Direktheit – also auch gegenüber den Mächtigen und Reichen) Gottes Willen (= sich für das Gute einsetzen – also auch für Frieden und Gerechtigkeit), um die Verheissung und reiche Belohnung zu erlangen. Wie gehst DU damit um, wenn du abgewertet und verunglimpft wirst? Siehst du dann einfach die böse Tat – oder auch (1) die Wiedergutmachung durch Gott und (2) den Charaktertest für dich? Welches Unrecht du auch immer gerade oder künftig erfährst – ich bete, dass du eine bessere Antwort darauf findest als nur Verbitterung!

Youtube-Favoriten zum Buch Jesaja

Das Österreichische Katholische Bibelwerk hat Kurzclips (je 3-5 min) zu den einzelnen Liedern vom Gottesknecht veröffentlicht – hier die Links zu Lied 1, Lied 2, Lied 3 und Lied 4. Und von Sommers Weltliteratur to go gibt es noch das ganze Buch inszeniert mit Playmobil-Figuren, deren Humor wohl nicht alle gleich stark teilen (unter 10 min):

Das war ein Blogartikel im Rahmen meines Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf biblische Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich selbst lese gerade nach meinem zweiten Vertiefungsplan In 3 Etappen durch die Bibel weiter und werde so demnächst einen kurzen Artikel zum Römerbrief schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zu Jesaja würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!

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