Bin ich gerne verantwortlich für wertvollen Besitz oder entschieden dagegen? Ist das Leben als Single für mich sicher der schlechteste Fall oder sogar die beste Wahl? Die Beantwortung solcher Fragen ist nicht zuletzt auch davon abhängig, in was für einer Zeit man gerade lebt. Der Prophet Jesaja wirkte im kleinen Königtum Juda und sah, wie die Abhängigkeit von mächtigeren Reichen immer mehr zunahm. Sein Buch bezieht sich allerdings nicht nur auf diese unheilvolle Entwicklung, die durch das damalige Assyrien noch nicht einmal ihren Tiefpunkt erreichte. Wie bei Micha finden wir auch bei Jesaja die Erwartung, dass es am Ende eine Wende zum Frieden und zur Gerechtigkeit gibt. Und tatsächlich trat das teilweise bereits ein, als die persische Herrschaft das babylonische Exil beendete. Plötzlich hatte man die Stimme des längst toten Propheten wieder ganz lebendig im Ohr! Anonym gebliebene Sprachrohre eigneten sich dessen Ruf an, wobei sie durchaus auch einen eigenen Auftrag ausführten und nicht nur die Vorlage kopierten. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede können anhand der folgenden drei Botschaften studiert werden.
1. Botschaft an die Abgestumpften
In Kapitel 6 wird Jesaja zum Volk gesandt, damit es nicht umkehrt und geheilt wird (Verse 9-10). Wie bitte? Ja, richtig gelesen! Die Menschen sollen materiell werden, was sie geistlich bereits sind – ein Stumpf (V. 11-13). Die verstockten Herzen, die verschlossenen Ohren und die verklebten Augen sind nämlich nicht erst das Ergebnis der prophetischen Beauftragung. Sie beschreiben vielmehr schon die Wirklichkeit, die Jesaja schonungslos aufdecken soll. Das Buch beginnt mit Kapiteln, in denen man zwar auch ein paar hoffnungsvolle Ankündigungen findet; man sollte dabei aber nicht ausblenden, dass der Prophet mit den Leuten hier klar überwiegend ins Gericht geht. Es ist nämlich nicht mehr nur fünf vor zwölf, sondern eher Viertel nach drei!
Bereits ist die Bedrohung durch den assyrischen König konkret geworden. Amos hat sogar schon ein paar Jahrzehnte davor Samaria gewarnt, als das noch nicht der Fall war; Jesaja hingegen alarmiert Jerusalem zu einem Zeitpunkt erhöhter Dringlichkeit. Interessant ist vor diesem Hintergrund darum auch die Berufungsvision, die zu seiner Sendung hinführt: Der eigentliche König der Welt ist der von Engeln dreimal heilig gepriesene Herr, dessen Tempel sich zu seinem Thron so verhält wie gerade mal der Saum zum ganzen Mantel (V. 1-4). Der Prophet erkennt angesichts solcher Dimensionen, dass er genauso unwürdig ist wie der Rest des Volkes und der Vergebung bedarf (V. 5-7). Erst nachdem das also geklärt ist, kann Jesaja zum Boten werden und “Ich bin bereit, sende mich!” (V. 8) sagen.
2. Botschaft an die Entwurzelten
Mit Kapitel 40 beginnt der zweite Teil des Buches, das auf das Ende der babylonischen Gefangenschaft (Vers 2) ausgerichtet ist. Spricht hier ein anderer Prophet oder hat Jesaja selbst schon so weit in die Zukunft blicken dürfen – ganze zwei Jahrhunderte im Voraus? Natürlich wird hier ein Herr der Geschichte beschrieben, der zweifellos zu allem mächtig ist (V. 12-31). Geht es also noch einmal um die gleiche Konfrontation wie oben – darum, dass man unwürdig ist und überhaupt nichts versteht? Nein, hier geht es um Trost (V. 1) – um die freudige Ansage der Befreiung für verängstigte ‘Lämmer’ (V. 9-11). Diese Worte sind also nicht einfach zur Aufbewahrung da, damit gegenüber einer früheren Generation ohne Erkenntnis eine spätere dann schlauer da steht. Hier wird doch viel wahrscheinlicher frisch zu denen in Babylon prophezeit, dass ihr Gott kommt – auf dem Weg durch die Wüste, ungehindert (V. 3-5). Wann braucht man so eine Ankündigung, wenn nicht nach der Entwurzelung aus der Heimat! Selbst falsche Prophetie schafft es, relevant für die Situation zu klingen. Nicht einmal das wäre hier der Fall, wenn man sich zeitlich noch vor dem Exil befinden würde.
Es ist also namentlich nicht bekannt, durch wen das Volk die Stimme seines Herrn hier hört. Über das prophetische ‘Ich’ erfahren wir allerdings, dass es wie Jesaja einen nicht selbstverständlichen Auftrag empfängt (V. 6): “Was soll ich denn sagen?” Die durch den glühenden Atem des Herrn (V. 7) in die Fremde gepusteten Menschen verdorren und verwelken offensichtlich wie Gras und Blumen. Kann es angesichts dessen irgendeine Ermutigung geben? Ja! Für immer in Kraft bleibt nämlich ‘das Wort unseres Gottes’ (V. 8). Und im Gegensatz zum glühenden Atem steht dieses Wort offenbar nicht für Vergänglichkeit, sondern – wie den darauffolgenden Kapiteln dann im Detail zu entnehmen ist – für die Neubelebung der Stadt Jerusalem! Das ist also der Punkt, wo sich der zweite vom ersten Buchteil deutlich unterscheidet. Die dortige Drohbotschaft gehört der Vergangenheit an, dem Volk der Gegenwart gilt nun eine Frohbotschaft!
3. Botschaft an die Eingepflanzten
Bei Kapitel 61 befinden wir uns ziemlich genau in der Mitte des dritten Buchteils, der bereits wieder die nächste Station auf dem Zeitstrahl im Blick hat: Die Rückkehr in die Zionsstadt Jerusalem ist erfolgt – aber trotz dieser Einpflanzung zurück im Herkunftsgarten ist das Trösten der Traurigen offenbar immer noch notwendig (Verse 2-3). Hier wird also in anhaltende Verzweiflung hineingesprochen – wie auch in den jeweils fünf Kapiteln davor und danach. Mühsam baut das Volk das Zerstörte wieder auf – in Not und Bedrängnis. Wie also kommt es dazu, sich am Ende wieder freuen zu können und über einen mächtigen Gott zu jubeln (V. 10-11)? Dafür sind offensichtlich die ermutigenden Zusagen des Herrn von entscheidender Bedeutung (V. 4-9)!
Wieder stellt sich die Frage, durch wen hier eigentlich Mut gemacht wird. Und noch einmal lesen wir nur von einer namenlosen Person, die wie Jesaja mit einer Botschaft gesandt ist (V. 1): „Der Geist des Herrn hat von mir Besitz ergriffen. Denn der Herr hat mich gesalbt und dadurch bevollmächtigt…“ – so die prophetischen Merkmale, wenn man nach dem Ausweis gefragt wird. Dann geht es weiter mit der guten Nachricht der Befreiung – also mit der Anknüpfung an den zweiten Teil des Buches, obwohl das babylonische Exil nun bereits ungefähr zwei Jahrzehnte zurückliegt. Es ist nämlich eine Sache, die Leute aus Babylon rauszubekommen. Und es ist eine andere Sache, Babylon aus den Leuten rauszubekommen. Ein Leben in wirklicher Freiheit ist das nach der Rückkehr natürlich auch nicht. Zwar darf der Tempel mit persischer Erlaubnis neu errichtet werden, aber das Volk ist von Schutz und Gnade abhängig. Das Versprechen, dass die Fesseln der Armut gelöst werden, ist zunächst also eher eine Durchhalteparole – mit der Perspektive, dass auf einen längeren und generationenübergreifenden Weg dann endlich die sichtbare Erfüllung folgt.
Soso, ein göttlicher Ruf – und wenn alles nur Einbildung war?
Nicht nur grundsätzlich skeptische Menschen zweifeln daran, dass da ein Gott irgendwelche Aufträge erteilt. Auch bei einem Simon/Petrus oder einem Saulus/Paulus kann man sich Jahrzehnte später noch Momente der Verunsicherung vorstellen (s. Lk 5,4-7 u. Apg 9,3-9): Hatten wir damals wirklich die ganze Nacht nichts gefangen und dann am nächsten Tag plötzlich so viele Fische, dass die Boote fast untergingen? Hatte ich damals wirklich durch ein Licht und eine Stimme so einen Schock, dass ich drei Tage lang blind war? Allerdings ist die eigene Erinnerung wohl nie so vertrauenswürdig wie bei derart einschneidenden Erfahrungen. Wäre es nicht so eindeutig und klar gewesen, hätte man wohl kaum alles – Ansehen und Anerkennung, Leib und Leben – dafür riskiert!
Egal ob vor oder nach Jesus – das Festhalten am Gesehenen bzw. (oft auch nur) am Gehörten ist von entscheidender Bedeutung, wenn der Glaube durch schweres Leiden oder einfaches Vergessen angefochten wird. Welche Botschaft brauchst DU gerade und welche wird gerade von DIR gebraucht? Wenn Gott in eine Badelandschaft rufen würde, wäre dann jetzt das Kaltwasserbecken (1) oder das Entspannungsbecken (2) oder das Bewegungsbecken (3) an der Zeit? Was auch immer es ist – in jedem Fall ist der Auftrag nicht, dass abgesehen von einem Zeh sonst alles trocken bleibt. Begib dich also mit Schwung hinein und tritt eine Welle los, durch die auch die Leute um dich herum ordentlich nass werden!
Online-Ressourcen zum Buch Jesaja
Bibelkunde-Artikel für den schnellen Überblick findet man unter bibelwissenschaft.de bzw. unter folgenden Direktlinks zu Buchteil 1, Buchteil 2 und Buchteil 3. Das Bibel Projekt bietet Vergleichbares in Form besonders ansprechend aufbereiteter Videoclips zur 1. Hälfte und zur 2. Hälfte von Jesaja (jeweils unter 9 min). Ausführlicher sind die aufgenommenen Vorträge von Worthaus zu charakteristischen Buchthemen – einmal zur Prophetie des Neuen (60 min) sowie zu Knecht und Messias (64 min). Und wer Jesaja mal durch die Augen einer Jüdin betrachten möchte, kann sich folgendes Interview von Bibel TV anschauen (56 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich lese nun Etappe 7 zu Ende und werde so in ein paar Wochen wieder einen kurzen Artikel (zu den Psalmen) schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Buch Jesaja würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!