Wolkenkratzer, Staatsämter, Bildungsgrade – auf vielerlei Weise streben wir Menschen nach oben. Wer kann, macht mit im Wettkampf – hoch, höher, am höchsten. Auch die Bibel stünde ziemlich konkurrenzlos da, wenn man von ihr alle gedruckten Ausgaben dieser Welt aufeinanderstapeln würde. Dabei liest man in diesem Buch von einer ganz anderen Bewegung: Gott will gerade nicht einsame Spitze sein, sondern sich hier unten in menschlicher Gemeinschaft aufhalten. Und auch da beschränkt er sich nicht auf Männer und Frauen mit Friedensnobelpreis. Mindestens so gerne begegnet er den ganz Niedrigen ohne Auszeichnung. Aber von dieser Ebenerdigkeit geht es dann gemeinsam aufwärts, nicht wahr? Man kann es so sehen, ja. Auf das Tal der Besinnung folgt der Berg des neuen Glücks. Es gibt aber noch eine andere Perspektive, wenn wir am Boden sind. Wir können Gott von da ja noch weiter abwärts folgen – nämlich endlich unter die Oberfläche, wo z.B. unsere Geschichte begraben liegt! Wer sich dort durchwühlt, gewinnt vielleicht eine neue Sicht auf die Vergangenheit und damit auch auf die Gegenwart sowie auf die Zukunft. Erwarten können wir im Untergrund insbesondere folgende drei Schichten.
Stufe -1: Schuld
In der Regel wird das, was die Bibel mit Sünde bezeichnet, unterschätzt und verharmlost. Man verdrängt das Thema einfach oder sucht eine Erklärung, warum man nicht anders konnte. Man will die Sache durch gute Taten wieder ausgleichen – oder durch gute Vorsätze in der Hoffnung, dass man es beim nächsten Mal besser macht. Psalm 106 hingegen zeugt von mehr Ahnung, wie weit das Problem wirklich geht:
Ja, auch im Jahr 2019 ist das für uns immer noch so unlösbar wie für unsere Vorfahren seit der Steinzeit. Wie eine körperlich unsichtbare Erbkrankheit haben wir es von unseren Eltern bekommen und geben es an unsere Kinder weiter: Untreue, Gier, Neid – was auch immer. Und trotzdem hat jede Generation einen Spielraum, wie sie damit umgeht, und ist entsprechend auch selbst dafür verantwortlich. Wie unrecht unser Handeln war und ist – das werden wir innerhalb der begrenzten Zeit eines Erdenlebens wohl nie ganz erkennen. Wir können es nur vermutend bekennen und – um Vergebung bitten.
Stufe -2: Erbarmen
Die göttliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit reicht noch tiefer als alle menschliche Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit. Das ist die biblische Botschaft schlechthin! Und Jesus hat sie sogar nicht nur gelehrt, sondern selbst verkörpert. Auch Psalm 135 hält bereits unbeirrt – d.h. trotz der gewalt- und leidvollen Geschichte im Zusammenhang mit mächtigeren Völkern – an einem freundlichen und guten Gott fest:
Der Herr wird seinem Volk zum Recht verhelfen, er hat Erbarmen mit den Seinen.
Nun, wer sind die Seinen? In manchen Texten des Alten Testaments kommt das ziemlich nationalistisch rüber – was einem solchen Vers einen bitteren Nebengeschmack verleiht. Andere Texte vermitteln hingegen, dass Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und überhaupt ihrer Vergangenheit dazugehören können. Daran knüpft das Neue Testament an, aus dessen Perspektive das obige Zitat also klar nicht exklusiv zu verstehen ist: Dieser Helfer von oben kommt so weit nach unten, dass es für ihn keine in ihrer Not von vornherein Unerreichbare gibt! Und um das ganz zu begreifen, ist ein sterbliches Menschenleben wohl ebenfalls zu kurz.
Stufe -3: Freude
O du bodenlos ungerechter Mensch, o du unergründlich gerechter Gott – ist damit alles gesagt? Nein! Hier will nicht einer Herr dadurch sein, dass er uns diesen Unterschied ständig unter die Nase reibt. Natürlich hat er es verdient, dass wir ihm für immer unsere Dankbarkeit erweisen. Bei manchen Leuten sieht das aber ziemlich verkrampft und zerknirscht aus. Demgegenüber zeigt Psalm 105, was beim Blick zurück und auf ihn eigentlich herauskommen sollte:
Seid stolz auf ihn, den heiligen Gott! Seid voller Freude über ihn, ihr, die ihr nach ihm fragt!
Ja, der Stolz bezieht sich auf seine Heiligkeit und nicht auf unsere eigenen Bemühungen in diese Richtung. Aber genau das ist Grund zum Feiern – Singen, Spielen, Jubeln! Die göttliche Barmherzigkeit ist eingebettet in eine Stimmung, die noch viel unerforschlicher ist als alles Bisherige: Da ist ein Wesen, das sich einfach freut – an und über uns Menschen! In dieses Glück werden wir hineingenommen, diese Lust dürfen wir erwidern und teilen. Dieses Fundament brauchen wir – weil alles andere sonst schnell ziemlich schräg dasteht.
Hmm – kann ich nicht auch einfach die Abkürzung nehmen?
Jein! Direkt zugänglich, ohne dass man sich vorher mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen braucht, ist das oberflächliche Vergnügen. Es gibt uns einen Vorgeschmack auf dasjenige in der Tiefe, ist also auch göttlichen Ursprungs und somit grundsätzlich eine tolle Sache! Eine leckere Mahlzeit wäre ein Beispiel dafür. Allerdings schmeckt es vor allem dann besonders gut, wenn man sich dazu mit einem Gegenüber unterhalten kann. Und diese Unterhaltung gewinnt wiederum an Qualität, wenn man voneinander die persönliche Geschichte kennt. Man kommt also rasch an den Punkt, wo man vor einer Entscheidung steht: Will ich die Maske meiner öffentlichen Selbstdarstellung ablegen oder lieber doch nichts Privates von mir preisgeben?
Vielleicht empfindest du bei der Vorstellung, dein wahres Gesicht zu zeigen, nichts weniger als Todesangst. Dann möchte ich dich heute (im übertragenen Sinne) zum Sterben ermutigen! Jesus stellt dich in Joh 12,25 vor die Wahl (vgl. Mk 8,35; Lk 9,24 u. 17,33; Mt 10,39 u. 16,25): “Wer sein Leben liebt, wird es verlieren. Wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es für das ewige Leben bewahren.” Letzteres kann ich dir wärmstens empfehlen! Sprich doch (1) mit einer Vertrauensperson darüber, was dich möglicherweise seit vielen Jahren belastet, und schiebe dabei deinen Anteil an der Verantwortung dafür nicht von dir weg. Übergib dann (2) diese Last und überhaupt dich selbst an Gott, indem du mit entsprechenden Worten betest – z.B. dass du zu ihm gehören und sein Mitgefühl gerade jetzt in Anspruch nehmen willst. Und gelange (3) zu einer Leichtigkeit und Heiterkeit, die du zuvor nicht für möglich gehalten hast. Alles klar? Dann los – fröhliches Ableben! 😉
Psalmvertonungen auf Youtube
Auch in Ps 136 wird der Geschichte Israels entlang Dankbarkeit gegenüber Gott zum Ausdruck gebracht. Jeder einzelne Vers endet mit „Seine Liebe hört niemals auf!“ und es gibt zahlreiche musikalische Interpretationen davon. Eine noch ziemlich neue ist die deutschsprachige hier – geschrieben und gesungen von Dania König. Und zu den aktuelleren Versionen in englischer Sprache gehört folgende – geschrieben von Greg LaFollette und gesungen zusammen mit Leslie Jordan:
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich nehme nun als Nächstes Etappe 5 in Angriff und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zu den beiden Thessalonicherbriefen schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zu den Psalmen mit Tiefblick würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!