Paulus: 1x Herzblut im Galaterbrief

Eine wuchtige Ladung orientalischen Temperaments begegnet uns in einem Schreiben an frühchristliche Gemeinden, die auf dem Gebiet der heutigen Türkei liegen. Im Vergleich dazu wird die Gemeinde in Korinth ja fast mit Samthandschuhen angefasst! Wie sonst nirgends ist offenbar in Galatien die Kacke am Dampfen. Und nicht die griechische Kultur ist hier das Problem, sondern die traditionellen Erkennungsmerkmale des Judentums: Beschneidung, Speisevorschriften, der Ruhetag…moment mal – was soll bitte verkehrt daran sein, an einem von sieben Tagen zu ruhen? Und jeder Mensch soll doch auch so essen, wie er will! Darf ein Mann sich etwa nicht frei entscheiden, ob er seine Vorhaut behalten will oder nicht? Nun, für Paulus wird durch solche Entscheidungen mehr markiert als nur persönliche Vorlieben. Er hat eine Erfahrung gemacht, die seine jüdische Herkunft und z.B. die galatische in ein neues Verhältnis setzt. Zur damit zusammenhängenden Botschaft darf für ihn also kein Handeln mehr im Widerspruch stehen. Und nichts weniger als das ist hier der Fall.

Alarmstufe 1: Zurückrudern ins alte Leben?

Was Paulus erfahren und erkannt hat, ist in Gal 2,11-21 so (be)greifbar wie wohl an keiner anderen Stelle seiner Briefe. Grundlegende Begriffe der jüdisch-christlichen Lehre wie „Wahrheit“ oder „Glaube“ sind hier direkt auf eine historische Situation bezogen – nämlich auf den so genannten antiochenischen Zwischenfall: Die syrische Stadt Antiochia (heute der südtürkische Ort Antakya) war eines der ersten Zentren der Jesus-Bewegung und nichtjüdische Menschen wurden dort zu einem normalen Teil der Tischgemeinschaft. Man riskierte damit allerdings Probleme mit Leuten, die weiterhin ein stark durch Absonderung ausgedrücktes Judentum leben wollten. Paulus scheute diesen Konflikt jedoch nicht und hielt Petrus deswegen eine Predigt, als dieser mal lieber einen Rückzieher machte.

Leider verwendete man damals noch keine Anführungszeichen und so ist nur unbestritten, dass in Vers 14 direkte Rede wiedergegeben wird. Für Bibelübersetzungen, welche diese Satzzeichen aber verwenden, stellt sich also die Frage nach der Länge des Zitats. Die Gute Nachricht Bibel hat sich für die Minimalversion entschieden. Die Menge Bibel hingegen hat die Maximalversion gewählt. Dort sind alle restlichen Verse des Kapitels ebenfalls an Petrus gerichtet. Wie auch immer – in jedem Fall besteht hier ein enger Zusammenhang, so dass man ohne Berücksichtigung von V. 11-13 wahrscheinlich ein zumindest einseitiges Verständnis von Wahrheit (griechisch: Aletheia) und Glaube (griechisch: Pistis) bekommt!

Insbesondere das letztere Wort kann nämlich auch anders übersetzt werden – und zwar nicht nur mit Vertrauen, sondern auch mit Treue. Das ist allerdings erst Teil 1 der Mehrdeutigkeit. Teil 2 ist, dass auch die Verbindung „Vertrauen auf Jesus Christus“ (V. 16) oder „Vertrauen auf den Sohn Gottes“ (V. 20) in der Originalsprache weniger festgelegt ist. Ja, es wurde damit gleichzeitig auch „Vertrauen von Jesus Christus“ oder „Treue des Sohnes Gottes“ gesagt. Beides ist richtig! So viel kann Paulus also auf einmal sagen und er bemüht sich offensichtlich nicht um Formulierungen, die nur etwas ganz Eindeutiges sagen. Das bedeutet aber, dass auch wir Abstand von nachträglichen Einschränkungen nehmen sollten! Genau zu solchen ist es aber in der Tradition des Reformators Martin Luther leider gekommen, was seit ca. 40 Jahren eine Diskussion namens Neue Perspektive auf Paulus zu Recht kritisiert.

Gääähn, das sind doch alles nur Haarspaltereien – oder nicht?

Es macht sehr wohl einen Unterschied, wie genau für uns die Gegenüberstellung von alter und neuer Glaubenswahrheit verläuft! Hier zwei konkrete Beispiele: Erstens findet bis heute eine falsche Zuordnung von alt und neu statt, wenn es um den Gegensatz von Christusvertrauen hier und Gesetzestaten dort geht. Oft verhalten sich nämlich evangelisch (oder überhaupt christlich) Gläubige gegenüber Angehörigen der röm.-kath. Kirche (oder des Judentums) überheblich, indem sie eine angeblich neuere Betonung des Vertrauens gegen eine angeblich ältere Betonung der Taten ausspielen (Stichwort: Werkgerechtigkeit). Alt ist für Paulus aber nur das jüdische Gesetz im Verhältnis zum (ebenfalls jüdischen) Christus, die Tora im Verhältnis zum Messias. In diesem Sinne ist es also nicht weniger richtig, das Neue als eine tätige Jesustreue zu bezeichnen: Jesus gab uns den treuesten Liebesbeweis und immer mehr tun wir es ihm gleich – das ist Gottes Gerechtigkeit!

Zweitens findet bis heute eine falsche Verengung statt, wenn in V. 19-20 (ich mit Christus, Christus in mir) die Jesusbeziehung der Einzelperson losgelöst von ihrem Umfeld betrachtet wird. Oft wollen neuzeitliche Menschen (wenn überhaupt, dann nur) privat gläubig sein, ohne Gemeinschaft. Woran aber zeigt sich dann der Tod des alten Ichs? Dass mein neues Selbst sich nun gesünder ernährt? Sicher hätte Paulus dagegen nichts einzuwenden. Die Frage nach dem Was ist für ihn aber nicht so wichtig wie die, mit wem ich esse! Im Hinblick auf Mahlzeiten bedeutet die Vorwegnahme meiner persönlichen Auferstehung nämlich vor allem, dass ich dabei nicht länger soziale Grenzen setze! Vielmehr soll ich diese nun sprengen – wie Jesus am gemeinsamen Tisch mit Zolleinnehmern (s. Lk 15,1-2). Ich bete also, dass auch du die starke Kombi von Vertrauen und Taten erlebst sowie deren Auswirkung auf dich als Einzelne(r) und auf deine Umwelt! Denn so bist du zum Vorwärtssegeln ins neue Leben bestens aufgestellt.

Online-Ressourcen zum Galaterbrief

Trotz der geringen Kapitelzahl gäbe es noch mehr wichtige Inhalte dieses biblischen Buches, die eine Vorstellung hier verdient hätten. Wenigstens einen Gesamtüberblick kriegt man durch einen Artikel von bibelwissenschaft.de hier oder durch folgenden Youtube-Clip von Das Bibel Projekt (knapp 9 min):

Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 5 fort und werde so nächsten Monat einen kurzen Artikel zum Römerbrief schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Galaterbrief würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!

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