Zum ersten der fünf Tora-Bücher habe ich bereits einen Blogartikel geschrieben, wo ich mich auf die sogenannten Erzeltern-Erzählungen konzentriert habe – Geschichten über Familie und damit verbundene Gefühle. All dem ist eine Urgeschichte vorangestellt, wo ich diesmal näher hinschauen möchte. Am bekanntesten ist da wohl die Schlange, welche einen Konflikt zwischen Gott und Mensch herbeiführt. Allerdings gibt es noch mindestens zwei weitere Stellen, wo als Ergebnis die Grenze zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen markiert wird. Darum wird es nun im Folgenden gehen.
1. Vor Noah
Insbesondere bei Kindern ist die Erzählung, die in Kapitel 6 beginnt, sehr beliebt: Ein Schiff wird gebaut, durch das eine Familie und viele Tiere vor dem Ertrinken in einer die ganze Erde überschwemmenden Flut bewahrt werden – genannt Arche Noah. „Nur Noah fand Gnade beim HERRN. Dies ist seine Geschichte: Noah war ein rechtschaffener Mensch – ganz im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen. Er ging seinen Weg mit Gott und hörte auf ihn.“ So geht es mit den Versen 8 und 9 los. In den vorangehenden drei Versen wird nämlich beschrieben, dass der HERR die Erschaffung insbesondere der Menschen bereut – wegen deren Bosheit. Gottes Kosmos soll also auf die Chaos-Stufe zurückgesetzt werden und nur mit Noahs Familie sowie den geretteten Tieren ist ein Neuanfang geplant. Natürlich wirft das Fragen auf, aber grundsätzlich ist es nachvollziehbar. Anders ist es mit den ganz an den Start des Kapitels gestellten vier Versen, die wirklich rätselhaft bleiben.
„Die Menschen sollen nicht mehr so alt werden, ich werde ihnen meinen Lebensatem nicht mehr für so lange Zeit geben. Denn sie sind schwach und anfällig für das Böse. Ich werde ihre Lebenszeit auf 120 Jahre begrenzen.“ Auch mit diesen Worten (V. 3) spricht sich der HERR für eine Gegenbewegung zur Ausbreitung der Menschen auf der Erde aus. Aber der Auslöser ist im wörtlichen Sinne sagenhaft: Gottessöhne nahmen schöne Menschentöchter zu Frauen – und daraus gingen die Riesen hervor. Aus irgendwelchen himmlischen Wesen einerseits und irdischen Personen andererseits entstehen also Zwischengestalten. Dadurch wird natürlich in die göttliche Grundordnung reingepfuscht – klar. Aber was hat das mit menschlicher Schwäche zu tun? Hier liegt doch gerade eine Anfälligkeit jener Himmelswesen vor! Den Erdenfrauen kann man ja wohl kaum einen Vorwurf machen – nur weil sie schön sind. Und selbst die Brüder bzw. Väter (oder Mütter) hätten ja wohl kaum verhindern können, dass ihre Schwestern bzw. Töchter von den Himmelswesen bemerkt und ausgewählt wurden.
2. Vor Abraham
Die Funktion, die Kapitel 11 erfüllt, ist eine doppelte: Einerseits bringt es noch die Urgeschichte zu Ende, andererseits leitet es bereits über zu den Erzeltern-Erzählungen. Die letzten sechs Verse handeln von der Familie Abrams und Sarais und davon, wie diese (teilweise) von der chaldäischen Stadt Ur in Richtung des Landes Kanaan wegzogen. Dabei ist eine der wichtigsten Informationen über Abram bzw. seine Frau offenbar die in Vers 30: „Sarai war unfruchtbar und konnte keine Kinder bekommen.“ Natürlich ist das DIE Steilvorlage für eine göttliche Initiative, in Folge derer das Paar unter den Namen Abraham und Sara erst recht berühmt und mit wiederum bedeutsamen Nachkommen gesegnet wurde. Spannend ist aber nicht nur, wie es von da an weitergeht. Zuerst sollte man nämlich auch hier den Zusammenhang mit dem Start des Kapitels beachten!
Geht man von der Stadt Ur flussaufwärts dem Euphrat entlang, gelangt man zu einer weiteren antiken Stadt: Babylon. Und deren Geschichte wird davor erzählt! Die Menschen seien durch eine einzige Sprache zusammengehalten worden und hätten eine Zerstreuung über die ganze Erde zusätzlich durch den Bau eines Turms bis zum Himmel verhindern wollen (V. 1-4). Der HERR habe dies allerdings nicht gerne gesehen (V. 6): „Was sie gerade tun, ist erst der Anfang, denn durch ihren vereinten Willen wird ihnen von jetzt an jedes Vorhaben gelingen!“ Und so sei vom Himmel her dafür gesorgt worden, dass wegen verschiedener Sprachen kein Mensch den anderen mehr verstand und der Stadt-/Turmbau abgebrochen wurde (V. 7-8). Auch hier ist man irritiert: Die einende Leistung der Menschen soll schlecht sein und die verwirrende Rolle des HERRN soll gut sein. Zumindest Kindern ist das doch eher schwer zu vermitteln!
Genau – widerspricht sich dieser HERR nicht irgendwie selber?
Tatsächlich wird der Mensch im einen Moment göttlich bejaht und im anderen hört er plötzlich wieder ein Nein von oben – es ist ein Hin und Her. Der Sinn dieser Erzählungen liegt aus meiner Sicht darin: Weder die Selbstüberhebung von Stadtmenschen noch irgendein Gemeinschaftsprojekt, das Riesen hervorbringt, soll die Grenze zwischen Gott und Mensch überschreiten. Darum wird zuerst einmal maximale Distanz markiert! Paradoxerweise ist Gott gleichzeitig aber auch an der Nähe zu den Menschen interessiert. Ja – darum geht er mit diesen bzw. mit den von ihm Auserwählten einen Bund ein, wovon dann eben die Geschichten von Noah und Abraham handeln (sowie die von Mose). Dabei macht er allein den ersten Schritt, einen neuen Anfang!
In Jesus kommt alles letztgültig zusammen – die Bestätigung sowohl der Distanz als auch der Nähe, wobei sich diese in ihm und seinem neuen Bund so grenzüberschreitend wie nie zuvor ausdrückt (s. Joh 1,18): „Kein Mensch hat jemals Gott gesehen. Doch sein einziger Sohn, der selbst Gott ist und in enger Gemeinschaft mit dem Vater lebt, hat ihn uns gezeigt.“ Wo erfährst DU Grenzen in deinem Leben? Vielleicht (1) hörst du wie Noah auf Gott – ohne dass deine Zeitgenossen diesen Weg mit dir gehen. Vielleicht (2) leidest du wie Abram und Sarai unter Unfruchtbarkeit – im wörtlichen oder übertragenen Sinne. Dann möchte ich dir erstens raten, dich deiner Begrenztheit zu stellen – du bist nicht Gott! Ich will dich aber zweitens auch zum Gebet ermutigen – denn es gibt einen Gott des Neuanfangs, der die Grenze zwischen dir und deinen Zeitgenossen oder der Fruchtbarkeit überschreiten kann!
Youtube-Favoriten zum Buch Genesis
Bei Sommers Weltliteratur to go findet man zwar nicht unbedingt Ernsthaftigkeit, aber doch immerhin eine lustig mit Playmobil-Figuren inszenierte Kurzversion des Buches (unter 14 min). Auf dem Kanal vom Projekt Worthaus gibt es tolle Videovorträge über die erste Schöpfungserzählung – aufgegliedert in Teil 1 (72 min), Teil 2 (92 min), Teil 3 (91 min). Zudem wird dort auch eine weitere Konfliktgeschichte behandelt – nämlich die von Kain und Abel (90 min):
Das war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf biblische Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich selbst lese die Bibel gerade nach meinem Vertiefungsleseplan In 5 Etappen durch die Bibel und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Markusevangelium schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Buch Genesis würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!