Schande vermeiden – das ist ein normales und verbreitetes Bedürfnis. Zwar wird je nach Kultur unterschiedlich definiert, was nun genau dem Ansehen eines Menschen schadet bzw. nützt. Aber es gibt einen ziemlich sicheren Rufmord an sich selbst, den man an den meisten Orten und zu den meisten Zeiten begehen konnte/kann: Schwimmen gegen den Strom – insbesondere wenn man die dadurch aufgeworfenen Fragen mit “Jesus” beantwortet. Darum: Wo bleibt der Weltuntergang, wenn man ihn braucht? Und doch ist das für Paulus offenbar das kleinere Problem gegenüber demjenigen, das er im antiken Korinth antraf: Scheinbar ermöglichte Jesus dort, dass man sich neben ihm sogar noch einen eigenen Namen machen konnte! Die Frage ist freilich, ob man da immer noch den gleichen, vom Apostel verkündigten Jesus vor Augen hatte. Paulus fühlte sich also verpflichtet, brieflichen Nachhilfeunterricht zu erteilen. Und davon erhalten sind uns zwei längere Schreiben, in denen leidenschaftlich gegen die falsche Geringschätzung der folgenden sieben Jesus-Werte gekämpft wird.
Wert Nr. 1: Kreuz
In 1 Kor 1,17-31 klärt Paulus gleich mal, um was bzw. um wen es eigentlich geht: Jesus ist der “Christus” (= Messias) und die Weisheit von Gott (Vers 30). Mit dieser Betonung ist gleichzeitig gesagt, was im Kontrast dazu steht – nämlich die Weisheit von Menschen. Und diese Weisheit ist offenbar nicht nur unvollkommen im Vergleich zur anderen. Nein, sie kann das Hören von Gottes Botschaft und Ruf geradezu behindern! Tiefsinn, Klugheit, Vernunft – damit konnte man in der griechischen Kultur natürlich zu einigem Ruhm kommen, aber bei Gott gelangt man damit nicht allzu weit. Einfältige, Machtlose, Geringe, Verachtete – diese Menschen haben genauso gute (oder sogar bessere) Voraussetzungen, Gott im Gekreuzigten (!) und Schwachen zu erkennen. Die Kriterien, wo die Weisen zu finden sind, sind auf den Kopf gestellt worden (V. 20).
Wert Nr. 2: Körper
In 1 Kor 6,12-20 zieht Paulus eine weitreichende Schlussfolgerung: Durch göttlichen Inhalt nimmt die Bedeutung menschlicher Form nicht ab, sondern zu! Wenn also der Heilige Geist in unseren Körpern wohnt, dann werden diese dadurch nichts weniger als Tempel (Vers 19). In Korinth war das ein ungewohnter Gedankengang. Es wäre dort einleuchtender gewesen, wenn man das Körperliche gegenüber dem Innerlichen als unwichtig hätte abtun können. Für Paulus macht aber gerade der Umgang mit der Sexualität (oder dem Essen) in besonderer Weise die Zugehörigkeit zu unserem Herrn sichtbar. Für IHN und seine Ehre sind wir da und nicht für die “Unzucht” (V. 13). Letztere stellt nämlich gerade nicht die christliche Freiheit dar, sondern eine Schande für alle Beteiligten.
Wert Nr. 3: Gemeinde
In 1 Kor 11,17-34 kommt Paulus auf soziale Unterschiede zu sprechen: Von ihrer Umwelt sollten sich die Gottesdienste unter anderem dadurch abheben, dass die Reichen dort Rücksicht auf die Armen nehmen! Wer einen langen Arbeitstag hatte und doch nur mit leeren Händen zur gemeindlichen Versammlung kommen kann, darf nicht beschämt werden (Vers 22). Entsprechend prangert Paulus an, dass die Wirklichkeit vor Ort anders aussah. Gerade in Hinblick auf das gemeinsame “Mahl” sollte man aufeinander warten (V. 33) und den ersten Hunger lieber daheim schon mal stillen. Andernfalls stellt sich die Frage, welchen Sinn sonst das Zusammenkommen überhaupt noch ergibt. Wer nur kommt, um einfach gleich das selbst Mitgebrachte zu verzehren, hat etwas Fundamentales nicht verstanden. Eine Feier, die eigentlich Gottes neuen Bund würdigen soll, wird so jedenfalls bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.
Wert Nr. 4: Himmel
In 1 Kor 15,35-58 landet Paulus beim letzten wichtigen Punkt seines ersten Briefes: Ein neues Leben voll “Herrlichkeit” (Vers 43) wartet am Ende! Doch so wie bereits der Stellenwert des irdischen Körpers unterschätzt wurde, so hatte derjenige des himmlischen in Korinth erst recht einen schweren Stand. Für Paulus ist diese künftige Geist-Gestalt aber nicht unwesentlich. Für ihn ist sie wie die Pflanze im Vergleich zum Samen und unterscheidet sich durch ihren besonderen Glanz – so wie auch die Schönheit der verschiedenen Gestirne kategorisch eine völlig andere ist als die verschiedener Tiere. Nur in dieser durch die Auferstehungskraft verwandelten Form kann der Tod keine Macht mehr über uns haben (V. 53). Und mit einem derartigen Sieg vor Augen geht freilich eine entsprechend gesteigerte Motivation für den diesseitigen Kampf einher.
Wert Nr. 5: Dienst
In 2 Kor 4,1-6 befindet Paulus sich bereits mitten im Thema seines zweiten Briefes: Was tut ein Gesandter (= Apostel) von Jesus Christus (nicht)? Und die erste Antwort darauf ist: Er verkündet eine Gute Nachricht (= Evangelium) – und zwar nicht von sich selbst (Vers 5), sondern von seinem Herrn und dessen Herrlichkeit! Nun gab es aber offenbar solche, die dieses “Wort Gottes” verdrehten (V. 2), damit es mehr deren Vorstellung von herrlichem Glanz entsprach. Paulus verstand sich jedoch schlicht als Diener und hatte dabei stets das Bild Gottes im Blick, das selbst zum Dienen gekommen war! Wer allerdings mit dem Herzen blind ist, wird freilich kaum belehrbar sein – oder doch? Der Briefautor gehörte ja selbst einmal zu denen in der Dunkelheit. Und dann ging ihm plötzlich ein Licht auf…
Wert Nr. 6: Ausgleich
In 2 Kor 8,1-15 geht es Paulus um einen konkreten Tatbeweis: Der gute Wille ist in Korinth offenbar reichlich vorhanden und soll also durch einen entsprechenden Beitrag zum “Gnadenwerk” der so genannten Jerusalemkollekte geprüft werden (Vers 7). Gnade ist dabei nichts anderes als das hilfsbereite Wesen Gottes, das seinen Ausdruck in der freiwilligen Armut von Jesus Christus fand und nun erneut findet – in einem finanziellen Zeichen der Verbundenheit unter den Gemeinden. Diese dürfte allerdings bereits brüchig gewesen sein, zumal der soziale Friede ja bereits bei der Mahlgemeinschaft vor Ort gefährdet war. Das überzeugende Geschick von Paulus und seinem Mitarbeiter Titus ist also gefragt, damit diese ausgleichende Spendensammlung auch wirklich mit einer erfolgreichen Ausführung endet – wobei die Gebenden ihre eigenen Möglichkeiten durchaus vernünftig einschätzen sollen (V. 11).
Wert Nr. 7: Gefahr(en)
In 2 Kor 11,16-33 macht Paulus sich selbst zum Thema und sorgt so für ein furioses Finale: In einer flammenden Rede als Verrückter prahlt er plötzlich (Vers 21) – obwohl er ja gerade diejenigen bekämpft, die sich selbst anpreisen. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass er sich mit seiner “Schwäche” rühmt (V. 30). Mehr als auf die Vorzüge seiner Herkunft ist Paulus nämlich auf die vielen Situationen stolz, in denen es gefährlich und mühevoll für ihn wurde. Und dabei stellt er sich nicht als Held dar, der unbeeindruckt über dem Tod und allem Leiden steht. Vielmehr konnte er so seine Grenzen erfahren und jenseits davon den, wer wirklich uneingeschränkt stärker als alle und alles ist! Nicht mehr und nicht weniger bedeutet es, wenn man für IHN arbeitet. Und das sollten die allzu Vollmundigen also erst einmal bedenken.
Steile Lernkurve – geht auch weniger als gleich soviel auf einmal?
Jein. Einerseits steht und fällt hier tatsächlich alles mit einer grundlegenden Entscheidung, zu der Jesus selbst herausfordert (vgl. Joh 5,41-44): Legst du mehr Wert darauf, von Menschen geehrt zu werden, oder bist du mehr auf die Anerkennung bei Gott aus? Wenn so etwas wie schöngeistiger und selbstherrlicher Komfort deine oberste Priorität zutreffend beschreibt, hast du leider komplett falsch entschieden (s. Nr. 1, 5 u. 7). Einen wirklichen Unterschied wird also nur eine Totalrevision machen!
Andererseits ist es nicht damit erledigt, dass man irgendwann mal richtig gewählt hat. Es folgen lebenslange Prozesse – mit für jeden Menschen unterschiedlichen Schwerpunkten: Vielleicht ist es bei dir ein Weg von einem anfänglichen Extrem hin zur Mitte zwischen Innenwelt und Sinnenwelt (s. Nr. 2) oder zwischen Diesseits- und Jenseitsorientierung (s. Nr. 4). Vielleicht hast du auch am Anfang deines Weges einseitig die Verantwortung nur für dich selbst betont, aber nun weitet sich deine Fürsorge aus auf deine Glaubensgeschwister vor Ort (s. Nr. 3) und sogar darüber hinaus (s. Nr. 6). In so einem Zusammenhang möchte ich dich natürlich ermutigen, einfach deine nächste Zwischenstation und nicht alles auf einmal erreichen zu wollen. Wie könnte ein weiterer Schritt in diese Richtung aussehen? Was gilt in deiner Herkunftskultur als angesehen bzw. schändlich, aber verhält sich in Gottes Reich gerade anders herum? Möglicherweise hat der Heilige Geist dir gerade spezifisch aufgezeigt, wo heute welche Neubewertung dran ist…
Links zu den Korintherbriefen
Einen inhaltlichen Überblick kann man sich einerseits auf bibelwissenschaft.de verschaffen – sowohl über 1. Korinther als auch über 2. Korinther. Das Bibel Projekt hat andererseits entsprechende Kurzvideos zu Brief 1 und Brief 2 (unter 9 min jeweils) veröffentlicht. Die wohl schönsten Worte an die Gemeinde in Korinth werden als das Hohelied der Liebe bezeichnet, zu dem es von Worthaus hier einen lohnenden Videovortrag gibt (76 min) und mit dem auf dem Youtube-Kanal von Gerth Medien für einen Paulus-Film geworben wird (2 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 5 fort und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Galaterbrief schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zu den Korintherbriefen würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!