Als Kind überraschte ich manche Leute offenbar dadurch, dass ich auch ein ‚Teufelchen‘ und nicht nur ein ‚Engelchen‘ sein könne. Das Wesentliche über mich war allerdings durch keine der beiden Bezeichnungen gesagt. Auch der Prophet Joel kennt scheinbar zwei Versionen von seinem Herrn, da dieser sich zu Jerusalem ganz unterschiedlich positionieren kann: Mal greift er die Stadt an, mal verteidigt er sie. Ja – was jetzt? Entscheide dich, Gott: Freund oder Feind? Aber abgesehen vom unterschiedlichen Ort liegt hier offenbar das gleiche Hin und Her vor wie bei Hosea. Ist diese Spannung etwa das unverkennbare Markenzeichen dieses Herrn? Oder wird dessen Wesen dadurch eher verdunkelt als erhellt?
Eigenschaft Nr. 1: Richter oder Retter?
Joel beginnt damit, dass er zum Weinen und Klagen aufruft. Da ist ein Gott, der sein Volk richtet – und zwar sowohl mit einem ‚Heer von Feinden‘ in der Zukunft als auch durch Heuschrecken und Dürre in der Gegenwart. Da ist aber auch ein Gott, der sein Volk rettet – und zwar sowohl vor dem ‚Feind aus dem Norden‘ als auch durch Ernteersatz und Regen. Das Verblüffende dabei ist, dass hier von ein und demselben Gott die Rede ist! Man weint und klagt also einerseits wegen ihm und andererseits zu ihm. Und diese beiden Seiten bleiben bis zum Ende, wo ein Vers es dann schön auf den Punkt bringt:
Jerusalem ist also der Ort einer doppelten Offenbarung: Ein brüllender und grollender Herr hat sich dort gezeigt und zu verstehen gegeben, dass vor ihm alle Völker – namentlich werden im Zusammenhang z.B. die Leute von Tyrus und Sidon genannt – früher oder später zittern werden. Genau dieser Herr hat allerdings zusätzlich dem Volk vor Ort enthüllt, dass es ihn als eine Zuflucht und eine Burg aufsuchen kann. Der göttliche Richter ist nämlich für diejenigen, die Unrecht mehr erlitten als begangen haben, letztendlich nicht unangenehm. Für die Opfer wird er zum Retter! Zwar hat er auch Israel nicht einfach alles Unheil erspart. Aber er hat dieses mit seiner erwiesenen Güte mehr als nur ausgeglichen!
Gibt es nicht auch andere Völker, die Gottes Schutz bräuchten?
Bis heute gibt es natürlich immer wieder diese Situation: Eine Nation ist im internationalen Vergleich besonders abhängig oder zerbrechlich. Trotzdem hat der biblische Gott sich ohne Ablaufdatum auf EIN solches Volk festgelegt. Hat die restliche Welt ihn deswegen gegen sich? Nein! Wenn sogar die Menschen in der mächtigen Stadt Ninive göttliches Mitleid hervorrufen können, dann darf an schutzbedürftigeren Orten erst recht eine höhere Gerechtigkeit und Barmherzigkeit erwartet werden.
Auch bei Jesus bewirkt der hartnäckige Hilferuf einer nichtjüdischen Frau, dass jener vom Richter zum Retter wird (s. Mt 15,21-28; vgl. Mk 7,24-30): Zuerst bezeichnet er die Menschen von Tyrus und Sidon als “Hunde” (!), zu denen er nicht gesandt ist. Am Ende kann ihn die mutige Mutter einer kranken Tochter dann aber doch immerhin zu einer Fernheilung überreden. Durch das rettende Handeln von Jesus begegnet sie also letztlich einem Gott, der durchaus auch „Hunde“ liebt. Aber warum zum Einstieg dieses richtende Urteil? Offensichtlich wird die göttliche Liebe nicht wahllos allen Menschen nachgeworfen. Ihren Charaktertest kann allerdings jede/-r bestehen, die/der zum hartnäckigen und mutigen Vertrauen bereit ist. Bist DU das? Dein JA spielt eine wichtige Rolle, wenn du von Gottes Offenbarung als Richter zur Offenbarung als Retter befördert werden möchtest!
Web-Favoriten zum Buch Joel
Auf bibelwissenschaft.de findet man einen hilfreichen Überblick. Das Bibel Projekt bietet auf Youtube ebenfalls eine Zusammenfassung, die grafisch besonders nett aufbereitet ist – und zwar hier (unter 7 min). Und von Worthaus gibt es einen ausführlichen Videovortrag darüber, ob/wie Gottes Liebe und Gottes Gericht zusammenpassen (88 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 7 fort und werde so demnächst einen kurzen Artikel zum Buch Micha schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Buch Joel würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!