Der Mensch – ein Vernunftwesen? Selbst regelrechten Intelligenzbestien können doch die Sicherungen derart durchbrennen, dass sie für logische Argumente nicht mehr empfänglich sind! Überhaupt ist es ja auch viel unkomplizierter, wenn bei Mann und Frau die Hormone übernehmen. Muskeln ohne Hirn und Formvollendungen ohne Verstand sind sich dann gegenseitig genug – na und? Zum einfachen Glück reicht das doch wunderbar! Im Buch Richter stelle ich darum zunächst einmal selbstkritisch fest, dass dort vergeistigte Körperfeindlichkeit ein völlig unbekanntes Problem ist. Allerdings verhindert spätestens die Schandtat von Gibea (Kapitel 19) dann doch, dass ich mir von dieser Zeit ein allzu romantisches Bild machen kann. Und schon davor enden zwei Heldengeschichten auf eine ziemlich deprimierende Weise – ganz im Gegensatz zu ihrem hoffnungsvollen Anfang jeweils. Wenigstens da findet man auch Ausnahmen zur vorherrschenden Kultur – wie die folgenden zwei Personen, die für mich als wirkliche Vorbilder herausragen:
1. Gideons Vater
In Kapitel 6 begegnet uns ein verarmtes Israel. Das Volk hätte auf den eigenen Gott hören und nicht fremde Götter verehren sollen. Retten diese vielleicht besser vor räuberischen Nachbarvölkern? Vor den Midianitern, die erfolgreich aus dem Osten zum Plündern einfallen, offensichtlich nicht! Erst nachdem diese Lektion gelernt wurde, erleben die Israeliten ihren wahren Retter von neuem. Und dessen Hilfesendung besteht aus einem Engel, der wiederum einen jungen Mann als Anführer in den Befreiungskampf sendet – Gideon (Verse 11-16). Davor erhält der Berufene allerdings noch einen Auftrag auf dem Grundstück seines Vaters Joasch. Dort soll Gideon nämlich einen Altar für den Gott Israels errichten, indem er durch die Zerstörung eines dem Gott Baal geweihten Altars erst einmal Platz schafft.
Nach erfolgter und entdeckter Tat erklären Männer gegenüber Joasch, dass sie dessen Sohn dafür mit dem Tode bestrafen wollen. Als Vordenker gegen religiös motivierte Gewalt macht Gideons Vater daraus aber eine Anfrage an Baal (V. 31): „Wenn er ein Gott ist, soll er selbst kämpfen und sich dafür rächen, dass man seinen Altar eingerissen hat.“ Ja, offenbar ist er es nicht und so geht die Geschichte weiter auf ihren Höhepunkt zu. Leider endet sie damit, dass Gideon seine Befugnisse überschreitet. Er geht zwar nicht so weit wie sein Sohn Abimelech, der es dann in Sichem schon mal kurz mit einem israelitischen Königtum versucht. Aber auch für Gideon war die ursprüngliche Berufung nicht genug. Viele Frauen und ein goldenes Gottesbild (Hallo???) verleihen dem Ganzen einen bitteren Nachgeschmack. Jedenfalls hätte der weise Joasch ein besseres Erbe verdient, finde ich.
2. Simsons Mutter
In Kapitel 13 wiederholt sich die Ausgangslage für Israel – nur ist es diesmal das westliche Nachbarvolk der Philister, wovon Rettung benötigt wird. Erneut werden im Zentrum die Taten eines jungen Mannes stehen – bekannt unter dem Namen Simson. Und wieder kommt ein Engel – allerdings zur Mutter, deren Namen wir nicht erfahren und die bei dieser Begegnung noch eine kinderlose Frau ist (Verse 2-5). Nachdem er ihr als erste die Geburt eines Gottgeweihten angekündigt hat, erscheint er noch ein zweites Mal und gibt dabei auch ihrem Mann persönlich Auskunft. Trotzdem wird er von diesem erst erkannt, nachdem er in der Flamme eines Opfers nach oben verschwunden ist.
Der baldige Vater reagiert darauf allerdings nicht mit Freude darüber, dass sein Gebet erhört worden ist. Vielmehr bekommt er Todesangst: Wenn man Gott gesehen hat – stirbt man dann nicht? Auch die baldige Mutter hatte sich mit ihm zu Boden geworfen, ist aber ansonsten offenbar eher eine unaufgeregte Frau (V. 23): „Wenn der Herr unseren Tod wollte, hätte er unser Opfer nicht angenommen […] und uns nicht das alles sehen lassen. Dann hätte er uns auch nicht solch eine Ankündigung gemacht.“ Ja, auch bei einer übernatürlichen Erfahrung kann man eine natürliche Gelassenheit bewahren! Leider ist in der restlichen Geschichte wenig von diesem mütterlichen Erbe erkennbar. Zwar ist Simson dann schon auch irgendwie vom göttlichen Geist getrieben, aber vor allem wird er von seinem Schwanz gesteuert. Und so bleibt das Ergebnis wohl weit hinter dem zurück, was potentiell hätte erkämpft werden können. Bereits durch nur ein bisschen mehr Nüchternheit wäre es Simson bestimmt möglich gewesen, sein Volk nachhaltiger zu verteidigen als nur im Rausch.
Hält man Gott zum ungehinderten Denken nicht am besten ganz raus?
Man kann Gideons Vater und Simsons Mutter natürlich ins Muster des aufklärerischen Fortschritts einordnen: Als vor Jahrtausenden noch barbarische Dunkelheit herrschte, war das erste Licht der Mündigen immerhin schon vereinzelt da. Wie gut aber, dass inzwischen schon fast alles wissenschaftlich ausgeleuchtet und auch vom Nebel der Glaubensfragen befreit ist! Oder sollten wir im 21. Jahrhundert die moderne Bildung mit den unabhängigen Naturgesetzen und den allgemeinen Menschenrechten im Lehrplan wieder abschaffen?
Nein, natürlich nicht – aber man kann sich dabei schnell über- bzw. unterschätzen. Auch wenn du oben ganz besonders hell bist, hast du weiter unten einen Bauch und darin vielleicht nicht selten eine Wut (1) oder eine Angst (2). Und dieses dunkle Zeugs kann manchmal sogar so schnell ausbrechen, dass es für jegliche Einwände dagegen bereits zu spät ist! Ohne wirklichen Grund kann es heute noch genauso Todesopfer fordern, wie es damals die schreiende Menge im Fall Jesus tat (s. Joh 19,5-7 u. 14-15; vgl. Lk 23,21-23 u. Mt 27,22-23 u. Mk 15,12-14). Ja, oft verdrängen wir bei unseren schöngeistigen Überlegungen all das lieber – insbesondere die störendste der an sich schon verstörend brutalen Kreuzigungen. Wenn wir aber wirklich weiter und tiefer denken wollen, sollten wir es einbeziehen – ein finsteres Hindernis, hinter dem aber bereits die Sonne göttlicher Hoffnung aufgegangen ist.
Web-Favoriten zum Richterbuch
Von den Podcast-Serien des Projekts bibletunes gibt es die entsprechende hier zum Herunterladen (je 5-10 min; komplett gesprochener Text + kurzer Impuls). Das Bibel Projekt wiederum bietet auf Youtube in gut 7 min einmal mehr eine super aufbereitete Zusammenfassung. Und Worthaus hat einen empfehlenswerten Videovortrag veröffentlicht, der uns eine kreative Antwort auf die machtgierige Kaltblütigkeit von Gideons Sohn Abimelech näher bringt (49 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich lese nun Etappe 4 zu Ende und werde so nächsten Monat wieder einen kurzen Artikel (zu den Psalmen) schreiben und hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Richterbuch würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!