Identität: 2 Erinnerungsorte im Josuabuch

Ich schreibe diesen Beitrag aus einer Stadt, die einen ziemlich festen Platz im kollektiven Gedächtnis hat: Heidelberg. War da nicht etwas mit Eichendorff, Hölderlin und so? Richtig! Berühmte Dichter der Romantik haben hier gewirkt und darum kann man entlang des beliebten Philosophenwegs an entsprechenden Denkmälern vorbeispazieren. Noch hat man die Namen nicht vergessen, noch werden die Werke gelesen – so wie das auch beim Buch Josua der Fall ist. Tatsächlich wirkt dessen Thema zunächst immer noch aktuell: Das umkämpfte Heilige Land. Und dass der israelitische Stamm Juda seinen Anteil im Süden bekam (Kapitel 15), entfaltete eine erstaunlich nachhaltige Wirkung – z.B. bis in die römische Provinzbezeichnung ‘Judäa’ hinein. Die Gebietsverteilung an die anderen elf Stämme hingegen prägte die Weltgeschichte deutlich weniger. Umrahmt ist das Ganze allerdings von zwei Stellen, an denen das jüdische (und auch das christliche) Selbstverständnis besonders verdichtet zum Ausdruck kommt:

1. Gilgal im Jordangraben

Am Ende von Kapitel 4 können die Israeliten westlich des Jordans endlich einen Strich unter das vierzigjährige Umherwandern in der Wüste ziehen. Folgt auf die gelungene Flucht vor der ägyptischen Unterdrückung nun das siegreiche Eindringen in strategisch wichtige Städte wie Jericho? Dort waren heimlich bereits zwei von Josua ausgesandte Kundschafter hineingegangen und – knapp – auch wieder lebendig zurückgekehrt. Nun wurde östlich davon ein Lager aufgeschlagen und vor dem Angriff erst einmal innegehalten, indem Vertreter des Volkes zur Ehre ihres Gottes zwölf Steine aufstellten. Und so blieb diese Stätte auch für die nachkommenden Generationen ein Symbol dafür, “wie groß die Macht des Herrn ist” (Vers 24).

Allerdings ist diese Macht nicht nur im rettenden Eingreifen erkennbar, sondern in späterer Zeit auch in der Verwerfung von König Saul. Die Steine von Gilgal stehen da ebenfalls im Hintergrund und symbolisieren also explizit auch, wie ohnmächtig doch die irdischen Herren sind! Wir lesen hier sozusagen von einem doppelt ausgerichteten Mahnmal: Einerseits soll man seinen Gott niemals unterschätzen, andererseits soll man Menschen (ggf. auch sich selbst) in einer führenden Position niemals überschätzen. Und diese Ermahnungen sind natürlich in der gesamten Geschichte Israels (und auch der Kirche) ein Dauerthema.

2. Sichem in Mittelpalästina

Ein letztes Mal werden in Kapitel 24 die Israeliten, die inzwischen schon einigen Lebensraum erkämpft haben, von Josua versammelt. Zu hören bekommen sie Worte, durch die ihr Gott selbst zu ihnen redet: Mit einer ausführlichen Rückschau werden sie daran erinnert, dass alles dessen Gabe ist; nicht etwa der eigenen Waffengewalt haben sie das bisher Erreichte zu verdanken. Und so wurde das Volk verpflichtet, sich von allen anderen Göttern zu trennen. Zeugen davon waren dabei nicht nur die Leute selbst, sondern auch ein danach aufgestellter Stein. Dieser habe nämlich mitgehört, “was der Herr heute zu uns gesprochen hat” (Vers 27).

In der Folgezeit haperte es allerdings chronisch mit der Trennung von fremden Kulten. Und als dann unter der Dynastie des Königs David von Nachkomme zu Nachkomme die Arbeitsverpflichtung immer mehr zunahm, kam es vielmehr zur Aufspaltung in ein Nordreich und ein Südreich. Tragischerweise geschah auch das in Gegenwart des Steins von Sichem. Wenn wir also beim Lesen an dieser Stelle mit(ge)denken, dann ebenfalls mit zweifacher Ausrichtung: Einerseits steckt in den hier einst vernommenen Gottesworten eine Wahrheit, die trotz Fortschreibung der Geschichte nichts an Gültigkeit verloren hat. Andererseits wirft das antike Israel durch seinen Zerfall auch die Frage auf, ob man wirklich alles als göttlich gegeben erklären kann. Das quälende Warum? ist daher auch ein Thema, mit dem die biblische Tradition durchgehend ringt.

Macht der Blick zurück das Leben nicht unnötig schwer?

Klar: Wenn die Vergangenheit vor allem als deprimierend empfunden wird, setzt man sich ungern mit ihr auseinander. Warum also krame ich Texte hervor, mit denen Problematisches verknüpft ist? Natürlich ist meine Absicht nicht, dass man sich nach dem Lesen schlechter fühlt. Johannes schrieb sein Evangelium mit einer ganz bestimmten Absicht (Joh 20,31) – “damit ihr festbleibt in dem Glauben, dass Jesus der versprochene Retter ist, der Sohn Gottes. Wenn ihr das tut, habt ihr durch ihn das Leben.” Und diesen Zweck erfüllen für mich auch alle anderen Bücher der Heiligen Schrift. Was wären wir ohne göttliche Rettung? Wie weit kämen wir aus eigener Kraft? Josua gibt auf diese Fragen eine klare Antwort: Wir wären verloren und kämen nirgendwohin!

Vielleicht hat ein persönliches Gilgal und/oder Sichem auch bereits deinen Glaubensweg markiert. Hast du Gott an einer bestimmten Station als den einzig wirklich Mächtigen (1) erkannt? Findest du es seit einem spezifischen Punkt (zu) einfach, alles als göttliche Gabe (2) zu begreifen? Möglicherweise ist es bei dir nicht ein Ort im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne – z.B. ein Musikstück, das deine Geschichte am besten zum Ausdruck bringt. Wo auch immer du daran erinnert wirst, dass es einen Retter gibt und du ihn heute genauso brauchst wie gestern – versäume es nicht, wieder dorthin zu gehen! Ich jedenfalls finde, dass es sich so leichter lebt.

Links zum Josuabuch

Vom Projekt bibletunes kann man sich hier die entsprechende Podcast-Reihe herunterladen (komplett gesprochener Text + kurzer Impuls = je 5-10 min). Das Bibel Projekt wiederum hilft mit folgendem Videoclip, dank dem man sich in knapp 9 Minuten einen Gesamtüberblick verschaffen kann:

Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 4 fort und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Richterbuch schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Josuabuch würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!

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