Für die Befriedigung dessen, was wir heutzutage als “fleischliche Lüste” bezeichnen, benutzen wir in der Regel einen Grill oder ein Bett. Eine solche Bedeutungsverengung liegt allerdings noch nicht vor, wenn Paulus den Begriff Fleisch (griechisch: Sarx) verwendet. Er kann damit mal den Menschen im Allgemeinen bezeichnen und mal dessen Körper im Besonderen oder auch dessen Bedingtheit, Zustand, Herkunft, Natur. Zusammen ergibt das ein sehr vielschichtiges Menschenbild, das bereits in der Antike freilich zu alternativen Vorstellungen in Konkurrenz stand. Paulus konnte also nicht einfach Übereinstimmung voraussetzen, als er seinen berühmten Brief an die Gemeinde im Alten Rom schrieb. Diese ging auch nicht auf ihn als Gründer zurück – ein Spezial- und damit Glücksfall für die Nachwelt! So kam für ihn nämlich die Notwendigkeit, seine Lehre so logisch wie möglich zu strukturieren und so überzeugend wie möglich vorzustellen. Unter anderem kommt er dabei darauf zu sprechen, an was Menschen sich allzu schnell gewöhnen – und zwar sowohl jüdische als auch nichtjüdische. Folgende vier Beispiele zeigen, wo er dieses Problem sieht (und wo die Lösung).
1. Buchstaben
In Röm 2,25-29 behandelt Paulus das jüdische Ritual der Beschneidung. Und er bezieht dabei Position für ein vorrangig innerliches Judentum (Vers 28): “Beim Judesein geht es nicht um äußerliche Merkmale und bei der Beschneidung nicht um den äußeren, körperlichen [= fleischlichen] Vollzug.” Was nämlich in erster Linie “im Fleisch” vollzogen wird, geschieht aus seiner Sicht dann auch überwiegend um des Beifalls von Menschen willen (V. 29). Demgegenüber ist für Paulus ein Judentum “durch den Geist” mehr auf die Anerkennung bei Gott ausgerichtet.
Interessanterweise ist das gar nicht so neu, sondern bereits seit dem Buch Deuteronomium eine innerjüdische Spannung! Schon dort ist nicht nur von einer Buchstabentreue die Rede, sondern vielmehr von einer Herzenstreue und -beschneidung. Die Kirchengeschichte zeigt zudem, dass nichtjüdische Menschen genauso an einem verkümmerten Buchstabenglauben kranken können. Auch im Christentum sollte dieser Text also mit aller gebotenen Selbstkritik gelesen werden.
2. Sünde
In Röm 8,1-11 nennt Paulus weitere Begriffe, die er dem Gegensatz von fleischlich und geistlich zuordnet – z.B. den Kontrast zwischen tot und lebendig (Vers 6): “Was unsere selbstsüchtige Natur [= das Fleisch] will, führt zum Tod. Was der Geist Gottes will, führt zum Leben, zu Heil und Frieden.” Der Körper kann dabei erstaunlicherweise die Seite wechseln, indem die Sünde in ihm durch Christus besiegt ist und indem Gott ihn wie den Körper von Jesus auferwecken wird (V. 10-11). So wie nämlich durch den Geist von Christus ein persönliches Wesen in uns Wohnung nehmen will, so tut es auch die Sünde. Diese trägt bei Paulus also auch die Züge einer innewohnenden Person, die von Jesus aber vor die Tür gesetzt wird.
Die Wertschätzung sowohl des irdischen als auch des himmlischen Körpers war ja bereits für die Gemeinde in Korinth nicht selbstverständlich. Auch in der Stadt Rom dürfte man geneigt gewesen sein, körperliche Ausdrucksformen von Sünde gegenüber nicht-körperlichen zu verharmlosen. Mit der Betonung eines innerlichen Judentums meint Paulus aber gerade nicht, dass auf sichtbare Auswirkungen davon verzichtet werden kann. Es darf im und am ganzen Menschen keinen einzigen Quadratmillimeter geben, wo der Sünde ein Bleiberecht zugestanden wird! Wenn nämlich der Geist einzieht, dann betrifft das tatsächlich auch den Grill und das Bett. Rausgeworfen werden aber nicht diese, sondern die Sünde und ihr falscher Gebrauch von egal was.
3. Israel
In Röm 9,1-5 beschreibt Paulus die Vorzüge, die mit den Menschen seines jüdischen Volkes verbunden sind – unter anderem das Erbe von Abraham, Isaak und Jakob sowie der angekündigte Messias (Vers 5): “Sie sind die Nachkommen der von Gott erwählten Väter, und zu ihnen zählt nach seiner menschlichen Herkunft [= nach dem Fleisch] auch Christus, der versprochene Retter.” Eine tolle Familie also, die Paulus aber nun zweigeteilt vorfindet. Für den einen Teil sind die Versprechen an Israel durch Jesus zur Erfüllung gekommen, zu der auch eine Menge nichtjüdischen Zuwachses gehört. Der andere Teil will damit nichts zu tun haben. Aber auch diesem wünscht Paulus die Fortsetzung jenes Segens und er wäre zu diesem Zweck sogar bereit, als einziger darauf zu verzichten (V. 3).
Nicht mehr zur Diskussion steht für ihn aber die Frage, wie man die Zugehörigkeit zu Israel bestimmt. Egal wie lange das durch die Befolgung der Tora markiert wurde – jetzt ist der Messias gekommen und es zählt nur noch dessen Gesetzesgehorsam und unsere geistliche Verbindung zu ihm. Davon ist Paulus zutiefst überzeugt und die Gemeinden in Galatien hatten deswegen bereits einen sehr scharfen Brief von ihm bekommen. Die Gefahr einer überholten fleischlichen Markierung der eigenen Glaubenszugehörigkeit ist freilich in einer rein nichtjüdischen Versammlung genauso gegeben. Auch da ist also einmal mehr selbstkritisches Lesen angesagt.
4. Begierden
In Röm 13,11-14 nimmt Paulus im Hinblick auf fleischliche Eigenfürsorge eine klare Stellung ein: “Lasst Jesus Christus, den Herrn, euer ganzes Leben bestimmen, und hätschelt nicht eure alte selbstsüchtige Natur [= das Fleisch],” schreibt er da als entschiedener Gegner (Vers 14). Tatsächlich hat er dabei nun zuerst ganz konkret an die traditionellen Hauptlaster der Völlerei und der Wollust, aber auch des Neides gedacht (V. 13). Solche Begierden wollen unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber unsere Sorge soll unbeirrt der nahen Rettung gelten.
Wie Paulus bereits der Gemeinde in Thessalonich/Thessaloniki geschrieben hat, geht es um einen geistlichen Kampf. Während die Umwelt noch weiter schläft bzw. sich wie in nächtlicher Finsternis verhält, sollen wir aufwachen und bereits wie im Tageslicht leben. Es geht also nicht einfach um ein Unterdrücken der Begierden, sondern um die Vorwegnahme der rettenden Stunde. Das neue Leben, das Jesus bei seinem ersten Kommen vorgestellt hat, traut er auch uns zu. Alle Startschwierigkeiten damit werden spätestens nach seinem zweiten Kommen überwunden sein, aber schon jetzt können wir zunehmend etwas davon verwirklichen.
Setzen wir andere und uns selbst nicht unter unnötigen Druck?
Richtig! Schon mancher unüberlegter Tatendrang hat das Gegenteil der ursprünglichen Absicht bewirkt: Die Zerteilung von Abrahams Familie wurde im Verlauf der Kirchengeschichte vertieft, weil man sich bei jüdischen (oder auch muslimischen) Menschen nur für deren Bekehrung zu Jesus interessierte. Und weil das Streben nach schnellen Erfolgen bei persönlicher Veränderung sich als zu frustrierend erwiesen hat, findet man sich mit schlechten Angewohnheiten nun halt einfach ab. Doch nicht “natürliche [= fleischliche] Geburt” macht uns zu Kindern Gottes, sondern Jesus Christus als fleischgewordenes Wort (s. Joh 1,11-14). Es geht also nicht einfach darum, ob Menschen wollen oder nicht. Sie können nicht – es sei denn, der Geist seines Schöpfers nimmt von sich aus in ihnen Wohnung und ruft gute Gewohnheiten hervor! Alles beginnt also damit, dass wir ihm die Tür öffnen. Beim Erobern von Zimmer zu Zimmer dürfen wir uns dann seiner Führung anvertrauen.
Hast du Gott dein Herzenshaus schon aufgemacht? Wenn nicht, drücke das jetzt doch gleich in einem Gebet aus: “Komm rein, Geist Gottes, herzlich willkommen!” Und dann beobachte, was geschieht. Gibt es da Verkümmertes und Überholtes (1 u. 3) in dir, das zwar auf gute Anfänge zurückgeht, aber nicht weiter gepflegt wurde? Gibt es da Totes und Finsteres (2 u. 4) in dir, wo endlich mal ausgemistet werden sollte? Irgendwo wird der Geist in seinem Tempo anfangen. Und wenn du es bemerkst, kannst du wieder beten: “Danke, mach weiter!” Gib also nicht auf – obwohl Paulus ein einschneidendes Bekehrungserlebnis hatte, folgte auf dieses bestimmt auch bei ihm ein jahrzehntelanges Entrümpeln. Diese Zeit solltest du also auch dir – und deinen Mitmenschen! – bitte geben.
Web-Empfehlungen zum Römerbrief
Von den Podcast-Serien des Projekts bibletunes gibt es die entsprechende hier zum Herunterladen (je 5-10 min; komplett gesprochener Text + kurzer Impuls). Auf bibelwissenschaft.de findet man wiederum einen hilfreichen Überblick. Das Bibel Projekt bietet auf Youtube ebenfalls eine Zusammenfassung, die grafisch besonders nett aufbereitet ist – hier Teil 1 (8 min) und Teil 2 (9 min). Auch nach dem Themenvideo zum Heiligen Geist (4 min) aus gleicher Herkunft versteht man das Ganze vielleicht noch einmal besser. Und wenn jemandem hier ein Abschnitt über eindeutig GUTE Angewohnheiten gefehlt hat, dann kann das mit folgendem (Werbe-)Clip von Gerth Medien nachgeholt werden (2 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 5 fort und werde so nächsten Monat einen kurzen Artikel zu den Chronikbüchern schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Römerbrief würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!