Aufstieg und Fall – in dieser Hinsicht folgte Jerusalem ganz dem kreisförmigen Muster antiker Städte. Und doch findet man keinen anderen Ort, der gleich für drei Weltreligionen von so ungebrochener Bedeutung ist. Für den Islam gelten Mekka und Medina zwar als noch wichtigere Stätten und im Christentum ist Rom bekanntlich für die Konfession mit den meisten Mitgliedern ebenso heilig. Das Judentum sieht Jerusalem aber klar als erstrangig an. Und so geht bereits die Chronik-Geschichtsschreibung auch so ziemlich über alles hinweg, was nicht in direktem Zusammenhang mit dieser Stadt und insbesondere ihrem damaligen Tempel steht. Eine allzu flotte Erzählung entlang der Könige Judas ist daraus trotzdem nicht geworden. Lange Auflistungen von Namen nehmen beispielsweise den frei gewordenen Platz ein. Für die meisten heute, die dort nicht erfreut irgendeinen Ururur…opa entdecken, sind solche Dokumentationen nicht sehr prickelnd. Es gibt aber auch spannenderes Bonusmaterial zu richtig emotionalen Momenten, in denen man sich persönlich mit der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte wiederfinden kann. Wer kennt zum Beispiel nicht den Sieg über Versagensängste, weil da jemand Mut macht? In folgenden zwei mulmigen Situationen damals finden wir genau solche ermutigende Worte, die mit zum bleibenden Erbe Jerusalems gehören.
1. Unbehagen gegenüber einer Aufgabe
Dass König David ein Kriegsmann war und darum den ersten Tempel nicht bauen durfte, ist in Kapitel 28 von 1. Chronik eine sehr bemerkenswerte Aussage. Ansonsten ist der Darstellung dort nämlich auffallend wichtig, dass Salomos Vater noch so viel Vorbereitungen wie möglich selbst traf und dadurch die Anerkennung für einen maximalen Anteil an diesem Projekt verdient hat. Nur die Baupläne gehören nun in die Hände des Sohnes und werden also feierlich übergeben. Davor sagt David zu Salomo (Vers 10): “Der Herr hat dich erwählt, damit du ihm ein Heiligtum baust. Darum geh entschlossen ans Werk!” Und danach wird noch hinzugefügt (V. 20): “Lass dich nicht beirren und hab keine Angst, denn der Herr, mein Gott, wird dir beistehen!” Und offenbar mangelte es dann auch tatsächlich nicht an einem bereiten Herzen.
Davids Verdienste um den Tempel verstärken noch einmal die insgesamt positive Bewertung dieses Königs, wie sie bereits die (nichtsdestotrotz kritischeren) Samuelbücher vornehmen. Den Grund für diese spezielle Gewichtung finden wir bereits einige Kapitel davor – nämlich dank der Aufzählung, wer Jerusalem nach dem Untergang und dem Exil wieder aufbaute (1 Chr 9). Sie verrät uns, aus welcher Perspektive hier geschrieben wird – aus derjenigen des zweiten Tempels! Entscheidend ist da nur noch, dass David zuerst die Idee eines solchen Baus hatte. Ob er abgesehen von dieser einen Pionierleistung gut oder schlecht mit seiner Macht umgegangen ist, spielt keine Rolle mehr. Auch bei König Hiskija wird dann die Bestnote noch einmal durch dessen Neuordnung des Tempeldienstes unterstrichen (2 Chr 31). Solange das jüdische Volk nämlich bei diesem Auftrag nicht scheitert, kann es auch mit Fremdherrschaft klar kommen. Die Hilfszusage durch David dürfen somit über Salomo hinaus auch alle späteren Generationen, die dem Herrn ein Heiligtum bauen (und erhalten), in Anspruch nehmen.
2. Unbehagen gegenüber einem Kampf
Zu den gut bewerteten Königen gehört auch Joschafat, über den es in Kapitel 20 von 2. Chronik eine lesenswerte Geschichte gibt. Er betet dort im Tempelvorhof zum Herrn, dass dieser angesichts eines drohenden Angriffs durch feindliche Nachbarvölker eingreift. Ebenfalls bittend stehen alle Männer, Frauen und Kinder versammelt da. Und dann kommt eine vom Geist eingegebene, prophetische Antwort durch den Leviten Jahasiël (Vers 15): “Habt keine Angst! Erschreckt nicht vor der Übermacht!” Statt also zu kämpfen, betet das Volk den Herrn an. Am nächsten Morgen sagt Joschafat zu den Männern von Juda und Jerusalem (V. 20): “Vertraut dem Herrn, eurem Gott, dann werdet ihr stark sein! Glaubt seinen Propheten und ihr werdet siegen!” Und tatsächlich werden die Feinde in Verwirrung gestürzt: Die Tempelsänger an der Spitze des Heeres preisen den Herrn und die Feinde machen sich gegenseitig nieder. Und nachdem unter den Toten reichlich Beute gemacht worden ist, wird dem Herrn erneut gedankt. Voller Freude kehren alle unter dem Klang von Harfen, Lauten und Trompeten zum Jerusalemer Tempel zurück. In Frieden kann Joschafat weiterregieren, weil über die umliegenden Länder ein gewaltiger Schrecken gekommen ist.
Auch hier zeigt sich wieder der besondere Schwerpunkt, den im Vergleich die Königsbücher anders gesetzt haben. Dort wird vor allem ausgebreitet, wie schlecht das Königtum Ahabs in Samaria war. Hier interessiert man sich viel mehr dafür, wie positiv Joschafat als König in Jerusalem regierte. Einerseits wird man an David erinnert: Schon diesem war von bisherigen Kämpfern Sauls deren und Gottes Hilfe zugesagt worden, indem der Geist – ähnlich wie bei Jahasiël – eine prophetische Rede bewirkte (1 Chr 12). Und zur Prophetie hinzu kommt nun die Musik levitischer Sippen – so wie David es bestimmt hat (1 Chr 25). Andererseits wird man auch an Salomo erinnert: Schon dessen Gebet wurde – ähnlich wie dasjenige Joschafats – auf der Stelle erhört und ebenfalls wie bei der Einweihung des Tempels warfen sich dabei alle Leute zur Anbetung nieder (2 Chr 7). Stärke durch Gottvertrauen dürfte zudem sicher auch ein Motto der nachexilischen Zeit gewesen sein, in der sich das wiederkehrende Ausgeliefertsein an eine Übermacht fortsetzte.
Erfolgreich sein mit Gott – ist das nicht ein sehr wirklichkeitsfremder Glaube?
Leider gibt es durchaus eine unreife Frömmigkeit, bei der man zum Herrn wie zu einem Erfüllungsgehilfen für die eigenen Träume betet. Und es gibt viele Bücher und Predigten, die das sogar noch unterstützen. Während meines Zivildienstes in Uganda habe ich persönlich erlebt, wie krass die Nachfrage nach solchen Botschaften dort ist. Man folgt dann einer Logik von Säen und Ernten, die begreiflicherweise gut ankommt: Reiche erklären den Armen, wie sich finanzielle Opfer im Gottesdienst auszahlen. Wohlstand ist demnach ein Segen für richtiges Spendenverhalten und offensichtlich funktioniert es. Also geben auf Reichtum hoffende Menschen in Armut bei der Kollekte das Letzte, was sie haben. Dass bei ihnen die Rechnung wahrscheinlich nicht aufgeht, ist das Tragische dabei.
Wenn wir also von Mut machenden Königen lesen, empfinden wir dabei vielleicht einen bitteren Nebengeschmack – zu Recht. Man soll sich nicht fürchten – wie billig! Haben die auf ihrem Thron denn überhaupt eine Ahnung, was sie da sagen? Kennen die überhaupt berechtigte Ängste – so wie im harten Alltag der Untertanen? Ich könnte jetzt argumentieren, dass das bei David und vielleicht auch bei Joschafat durchaus der Fall war. Das wäre aber nicht der Grund, warum mich die ermutigenden Worte letztlich überzeugen. Dass der Herr mir beisteht, glaube ich wegen Jesus: Er ist die wirklich stichhaltige Verkörperung dieser Botschaft! Wenn er Freiheit von Besitz und Sorgen predigte (s. Lk 12,13-34 u. Mt 6,19-34), dann konnte man sich bei ihm so ein vollkommen Gott unterstelltes Leben auch gleich mit eigenen Augen anschauen. Nach einer solchen Art von Erfolg wird freilich weniger gefragt, aber dafür ist dieser Weg alles andere als blauäugig. Vielleicht kommt ja gerade eine hohe Anforderung (1) oder eine schwere Schlacht (2) auf dich zu. Und vielleicht ist dir jetzt klarer, auf was oder wen du da (nicht) vertrauen willst…
Links zu den Chronikbüchern
Einen kompakten Überblick bekommt, wer unter bibelwissenschaft.de in der Rubrik “Bibelkunde” aufs Menü “Altes Testament” und dann “Chr. Geschichtswerk” oder einfach direkt hier drauf klickt. Bemerkenswert sind übrigens besonders auch die allerletzten beiden Verse mit Kyros, dem König von Persien: Mit ihnen endet in der jüdischen Anordnung die Heilige Schrift insgesamt (!) und die dadurch ausgedrückte internationale Öffnung wird im folgenden Worthaus-Vortrag von einem meiner damaligen Professoren als spannende Entwicklungsrichtung der alttestamentlichen Literaturgeschichte nachgezeichnet (83 min).
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 5 fort und werde so in einigen Wochen einen kurzen Artikel zu den Büchern Esra und Nehemia schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zu den Chronikbüchern würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!