Mit meinem ersten Blogartikel zum Evangelisten Lukas habe ich Jesus gefeiert – seine starken Auftritte unter Lehrern, vor zwei Schülern oder auch bei einer Witwe. Hier geht es natürlich ebenfalls um die Hauptperson, aber diesmal möchte ich auch ein paar daneben Mitwirkende genauer betrachten. Diesen ist gemeinsam, dass sie bereit sind – für Gottes Reich, für die Rettung Israels, für Jesus! Sie wollen empfangen, an-/auf-/nehmen bzw. er-/warten (Verben im griechischen Original: apo-/hypo-/dechomai bzw. prosdechomai). Gleichzeitig gibt es durchaus auch Unterschiede bei ihrer Beschreibung. Jeder Mensch dürfte sich mindestens mit einem von folgenden vier Profilen ein Stück weit identifizieren können.
1. Simeon und Hanna
In Lk 2,25-38 besucht Jesus zum ersten Mal den Jerusalemer Tempel, indem er als Säugling von Maria sowie Josef dort hingebracht und Gott geweiht wird. Auf ihn wartet da bereits ein Mann unter der Führung des Heiligen Geistes – Simeon (Verse 25-27). Zudem dient, betet und fastet im Tempel zu der Zeit auch eine alte Witwe und Prophetin namens Hanna (V. 36-37). Zuerst “nahm Simeon Jesus in seine Arme und lobte Gott” (V. 28). Der Mann spricht dabei Worte aus, über die sich Maria und Josef wundern (V. 29-35). Dann stimmt Hanna mit ein (V. 38): “Während Simeon noch mit Maria und Josef sprach, trat sie hinzu und begann ebenfalls, Gott zu loben. Allen, die auf die Rettung Jerusalems warteten, erzählte sie von diesem Kind.”
In den restlichen Kapiteln liest man von Simeon und Hanna nichts mehr. Wahrscheinlich gehören sie schon zu den Verstorbenen, bevor es richtig losgeht mit Jesus und seinem öffentlichen Wirken. Aus menschlicher Sicht würde man also sagen: Die können nur einen eingeschränkten Beitrag leisten – wegen ihres Alters, Zivilstands usw. Es sind andere, die mit Jesus dann später die Welt bewegen. Auch sonst könnte man Simeon und Hanna für ihren beschränkten Horizont belächeln: Tag und Nacht charismatisch-enthusiastische Gottessehnsucht – das wirkliche Leben spielt sich doch nicht im Tempel ab! Aber aus göttlicher Sicht haben sie wohl den weitesten Horizont von allen, indem sie unbedingt noch den Christus/Messias erleben und sehen wollten – das rettende Licht für Israel und die Völker der ganzen Welt! Und so haben uns hier ein Anbeter und eine Anbeterin doch ein weltbewegendes Vorbild gegeben, wie man Gottes Zeichen nicht verpasst!
2. Jaïrus und [Name?]
In Lk 8,40-56 hat Jesus gerade – hin und zurück über den See Genezareth – eine Bootsfahrt hinter sich. Sogleich beginnt die nächste Wundergeschichte (Vers 40): „Als Jesus zur anderen Seite des Sees zurückkehrte, empfing ihn dort eine große Menschenmenge. Sie hatten alle ungeduldig auf ihn gewartet.“ Zur Menge gehört einerseits Jaïrus, dessen zwölfjährige Tochter im Sterben liegt (V. 41-42). Unter den Menschen, die sich um Jesus drängen, befindet sich andererseits auch eine namenlose Frau – näher beschrieben nur durch die starken Blutungen, an denen sie seit 12 Jahren leidet (V. 43). Die Frau berührt nun Jesus heimlich von hinten und dieser bestätigt ihr, dass ihr Glaube sie im selben Augenblick geheilt habe (V. 44-48). Zu Jaïrus sagt Jesus wiederum, dass das währenddessen gestorbene Mädchen gerettet werde und er ihm nur vertrauen solle – gefolgt davon, dass dann die von Jesus zum Aufstehen aufgeforderte Tote tatsächlich wieder lebendig wird (V. 49-56).
Gemeinsam ist Jaïrus und der namenlosen Frau, dass sie sich in einer aussichtslosen Situation befinden und Jesus als Heiler/Retter brauchen. Gemeinsam ist beiden, dass sie mitten in ihrer Verzweiflung doch noch irgendwie glauben/vertrauen. Zu solchen Leuten geht von Jesus erlebbare Kraft aus! Auch hier ist es so, dass die beiden nicht noch einmal in späteren Kapiteln auftauchen. Vielleicht verbrachte die Frau den Rest ihres Lebens damit, von Jesus und ihrer Berührung zu erzählen. Vielleicht war das Haus von Jaïrus ab da ein wichtiger Stützpunkt für Jesus und seine Schule. Es kann aber auch sein, dass bald neue Prioritäten kamen und Jesus für beide schnell wieder an Bedeutung verlor. Nichtsdestotrotz würde selbst dieser Fall nichts daran ändern, dass zumindest die Bibel die Erinnerung an diese Wunder bis heute für uns wach hält.
3. Zachäus aus Jericho
In Lk 19,1-10 befindet sich Jesus in Jericho und damit am letzten Zwischenstopp auf seiner Reiseroute nach Jerusalem. Wieder gibt es eine Menschenmenge – ein Problem, wenn man so klein ist wie Zachäus (Verse 1-3). Also klettert dieser unbeliebte Zolleinnehmer, dem niemand gerne den Blick auf Jesus freigibt, auf einen Maulbeerfeigenbaum (V. 4). Von dort wird Zachäus allerdings wieder nach unten gerufen – weil ausgerechnet bei ihm Jesus zu Gast sein möchte (V. 5). Der Gastgeber zögert keine Sekunde (V. 6): „Eilig stieg Zachäus vom Baum herunter und nahm Jesus voller Freude mit in sein Haus.“ Bei den Leuten sorgt das hingegen für Empörung (V. 7). Jesus wird aber zum Retter für Zachäus (V. 9-10). Was dieser am Zoll nämlich zu viel abgenommen hat, will er nun vierfach zurückgeben – und die Hälfte seines Vermögens soll an die Armen gehen (V. 8)!
Zachäus wird weder von einem körperlichen Leiden geheilt noch vom Tod auferweckt, sondern aus einer inneren Not gerettet! Auf den ersten Blick geht es ihm ja gut: Er gehört zu den Oberen, zu den Reichen. Auf den zweiten Blick merkt man aber: Er ist nicht frei dem Reichtum gegenüber, etwas drängt ihn zum Betrügen am Zoll. Und so geht ihm ein einschlägiger Ruf voraus – als Gauner, der von niemandem Freundlichkeit erwarten kann. Genau so einen wie ihn sucht aber Jesus! Für diesen liegt hier nämlich eine sogar noch gravierendere Verlorenheit vor, als wenn Zachäus z.B. “nur” aussätzig wäre. Dass Freude nicht-materieller Art in ein solches Haus kommt, ist wirklich das perfekte Wunder!
4. Josef von Arimathäa
In Lk 23,50-54 ist Jesus soeben am Kreuz gestorben, nachdem der jüdische Hohe Rat ihn an den römischen Statthalter Pontius Pilatus ausgeliefert hat. Nun tritt ein bemerkenswerter Mensch in Aktion (Verse 50-52): “Josef, ein Mann aus Arimathäa, einer Stadt in Judäa, ging zu Pilatus und bat ihn, den Leichnam von Jesus begraben zu dürfen. Er war ein Mitglied des Hohen Rates und ein guter Mensch, der nach Gottes Willen lebte und auf das Kommen von Gottes Reich wartete. Josef hatte nicht zugestimmt, als der Hohe Rat Jesus zum Tode verurteilt hatte, und war mit ihrem Vorgehen nicht einverstanden.” Von diesem Josef also wird Jesus noch vor dem Sabbat vom Kreuz genommen, in Leinen gewickelt und begraben (V. 53-54).
Man kann sich hier fragen, wie Josef ein guter Mensch und gleichzeitig Mitglied dieses Hohen Rates sein kann. Wenn ihn doch schon (genau wie Simeon oben) das Leben nach Gottes Willen und das Warten auf Gottes Reich auszeichnet, hätte er doch radikal mit diesen bösen Leuten brechen müssen! Da ist es doch völlig ungenügend, wenn er einfach nur nicht einverstanden ist / einfach nur nicht zustimmt! Aber das wird ihm hier interessanterweise nicht vorgeworfen. Im Gegenteil: Auch Josef wird zum Vorbild – allein dadurch, dass er der geschehenen Entwürdigung (von Jesus, aber eigentlich der gesamten Menschheit inkl. Pilatus und dem Hohen Rat selbst) ein Zeichen der Ehre entgegensetzt! Natürlich braucht es mehr, um in der Jesus-Bewegung vorne mit dabei zu sein. Aber offenbar platziert Gott manche seiner Leute auch in Gremien oder an sonstigen Orten, wo man es nicht erwarten würde. Ja – er braucht nicht nur die kompromisslos Kämpfenden, sondern auch die diplomatisch Dienenden!
Wie könnte es für mich aussehen, das Reich Gottes zu erwarten und anzunehmen?
Vielleicht ist deine Identifikation am stärksten mit den Menschen, die (2) verzweifelt ein körperliches Wunder brauchen oder (3) innerlich verloren sind. Dann bist du wahrscheinlich schon genug bereit für einen Retter und wirst intuitiv die richtigen Schritte gehen. Vielleicht erkennst du dich aber eher in den Leuten wieder, die (1) Gott innerhalb der ihnen gesetzten Schranken anbeten oder (4) einfach irgendwie die Guten unter den Bösen sind. Dann ist die Bereitschaft für Jesus wohl weniger ein Selbstläufer. Deren Pflege bedarf geistlicher Übung – z.B. der Praxis verschiedener Formen des Betens und Fastens, des Schweigens und Meditierens. Aber nicht nur Stille hilft beim Dranbleiben. Mache ruhig auch mal laute Musik an, wenn sie dich dem Himmel näher bringt! Oder umgib dich mit echter Gemeinschaft! Das ist nicht weniger geistlich.
Interessanterweise ist bei Jesus die sinnliche Spiritualität mindestens so wichtig wie die asketische. Auffallend oft geht es in seiner Schule um Mahlzeiten, weil gerade diese Zeichen für Gottes Gegenwart sind bzw. sein sollen. Der Alternativkultur von Gottes Reich entsprechen verblüffend andere Sitten beim Essen (s. Lk 12,35-38 u. 14,7-24; vgl. 9,10-17 u. 22,14-20): Der Herr bedient. Die Niedrigen werden geehrt. Nicht nur die Oberen werden satt, sondern alle. Auch die Symbolik des jüdischen Passahmahls deutet Jesus ungewohnt – im Sinne seiner Selbsthingabe und eines neuen Bundes für alle. Ich möchte dich deshalb insbesondere zu mehr Tischgemeinschaft ermutigen! Auch du kannst nämlich gar nicht so reich sein, dass du da nichts empfangen könntest. (Und du kannst auch gar nicht so arm sein, dass du da nichts weitergeben könntest.)
Youtube-Favoriten zum Lukasevangelium
Sommers Weltliteratur to go hat ein lustig mit Playmobil-Figuren inszeniertes Kurzvideo für den Überblick (12 min) veröffentlicht. Vom Projekt Worthaus gibt es einerseits tiefer grabende Vorträge zu Gleichnissen – von den beiden Schuldnern (75 min), vom barmherzigen Samaritaner (70 min), vom reichen Kornbauern (57 min) – und andererseits zur Geburtsgeschichte (85 min):
Das war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf biblische Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich selbst lese die Bibel gerade nach meinem Vertiefungsleseplan In 5 Etappen durch die Bibel und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Buch Numeri schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Lukasevangelium würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!