Wenn heute jemand von einem göttlichen Gericht spricht, bezieht sich das wahrscheinlich auf ein kulinarisches Erlebnis. Im Brief des Judas ist das jedoch nicht der Fall – und entsprechend ernst ist dort der Tonfall. So wie nämlich Gott ganz im Allgemeinen über diejenigen Richter ist, die ein allzu lockeres Mundwerk haben – so richtet er im Besonderen auch solche, die über etwas ganz Bestimmtes ablästern. Und stünde es nicht in der Bibel, würden wir heute wohl gar nicht erst auf folgende Problematik kommen.
Dringlichkeitsstufe 1: Irrglaube!
Wer flüchtig die Wörter “irrgläubig” und “überirdisch” in einem Zusammenhang stehen sieht, denkt dabei vielleicht: Ja – mit seinem Glauben gerät schnell auf Abwege, wer sich mit irgendwelchen Spekulationen allzu weit von dieser Erde entfernt. Und das stimmt natürlich – ABER laut Jud 3-21 kann man offenbar auch von der anderen Seite vom Pferd fallen! Aus den 19 Versen besteht der Briefhauptteil, der mit einer so genannten triadischen Formulierung endet (Heiliger Geist, Gott, Jesus Christus). Während so also die richtige Überlieferung markiert wird, gibt es nun Leute mit einer falschen Deutung derselben. Worin besteht diese denn, dass Judas sich zu einer so heftigen Verbalattacke gezwungen sieht?
Die Verse 8-10 geben darauf Antwort und werfen zugleich neue Fragen auf: Die Irrenden verstehen nur etwas von naturhaften Trieben und Instinkten, aber nichts von überirdischen Mächten! Dabei habe es doch selbst der Engelfürst Michael nicht gewagt, den Teufel beim Streit über Moses Leichnam mit beleidigenden Worten zu verurteilen. Diese Geschichte sucht man im Bibelkanon allerdings vergeblich, ebenso das Zitat von Henoch über das Kommen des Herrn “mit vielen tausend heiligen Engeln, um über alle Menschen Gericht zu halten” (V. 14-15) – es stammt aus einem Buch, das nur in der äthiopisch-orthodoxen Kirche offizielle Aufnahme gefunden hat. Während Judas also inhaltlich durchaus überzeugend gegen eine überhebliche Geringschätzung der unsichtbaren Welt argumentiert, hätte für meinen Geschmack eine Untermauerung nur mit unumstrittenen Quellen das Ganze noch vertrauenswürdiger gemacht. Oder gehöre ich mit Solchem im Sinn bereits zu den Spöttern? 😉
Ich habe trotzdem Mühe mit so unheimlichen Visionen – du nicht?
Doch, auch für mich überwiegt die Fremdheit. Ich gehöre zudem nicht zu den Leuten, deren Faszination für den Kampf zwischen Gut und Böse zu einem alltäglichen Ritual in Form von ständigem Fantasy-Filmkonsum geführt hat. Mein weniger dramatisches Leben schreit (zum Glück? leider?) nicht ständig nach einem endzeitlichen Retter. Zu anderen Zeiten oder an anderen Orten war/ist das aber anders und entsprechend waren/sind dann auch Engels- und Teufelsmächte (objektiv? subjektiv?) viel präsenter.
Die Bedeutung der Bezeichnung Engel ist allerdings auch für mich nicht fremd: Bote. Und darum werde ich zwar vielleicht aus diesen übernatürlichen Boten nicht schlau, aber sehr wohl aus deren Botschaft! Auch beim Teufel ist die Funktion das Bemerkenswerte: „Durcheinanderwerfer“ (griechisch: Diabolos). Der Engelfürst „Michael“ ist zudem ein Bespiel dafür, dass die Botschaft bereits mit dem hebräischen Namen beginnt: „Wer ist wie Gott?“ Auch bei der Jesus-Geschichte fällt jeweils am Anfang und am Ende die Präsenz von Engeln auf, wobei in einem der Evangelien namentlich „Gabriel“ (= „Starker Gottes“) genannt wird (s. Lk 1,5-38). Im Einklang mit der Bibel möchte ich also auch dich ermutigen, solche Boten bzw. deren Botschaft durchaus ernst zu nehmen. Und ich bete für dich, dass du dabei nicht „durcheinandergeworfen“ wirst!
Web-Empfehlungen zum Judasbrief
Auf bibelwissenschaft.de findet man einen hilfreichen Überblick. Das Bibel Projekt bietet auf Youtube ebenfalls eine Zusammenfassung, die grafisch besonders nett aufbereitet ist – und zwar hier (8 min). Wer sich dafür interessiert, wie es von den triadischen Formeln zur altkirchlichen Lehre der Dreieinigkeit gekommen ist, sollte sich folgenden Videovortrag von Worthaus anschauen (99 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 6 fort und werde so in ein paar Tagen einen kurzen Artikel zum Buch der Sprichwörter / Sprüche (Salomos) schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Judasbrief würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!