Frauen im Alten Orient brauchten besonders viel Mut, wenn sie aus der Reihe tanzen wollten. Es war für sie jedenfalls nicht von Vorteil, in einer um Männer herum strukturierten Gesellschaft von den Regeln abzuweichen. Doch genau so handelt Rut im nach ihr benannten Buch. Die Erzählung gehört zu denjenigen biblischen Texten, in denen uns die beiden Geschlechter erstaunlich gleichrangig begegnen – so wie z.B. auch im Hohelied. Und da Rut keine Jüdin ist, entzieht ihre Geschichte zugleich frauen- UND fremdenfeindlichen Haltungen raffiniert die Grundlage!
Prio 1: Schwiegermutter!
Die Ausgangslage in Kapitel 1 ist, dass Rut als eine von zwei Schwiegertöchtern der Jüdin Noomi vorgestellt wird. Diese war mit ihrem Mann wegen einer Hungersnot nach Moab (auf der anderen Seite des Toten Meeres) ausgewandert und so kam es, dass ihre beiden Söhne je eine moabitische Frau heirateten. Als Mutter war Noomi so auch versorgt und nicht alleine, nachdem sie Witwe geworden war. Doch zehn Jahre später stehen tragischerweise alle drei Frauen verwitwet da! Die Frage der Versorgung ist neu zu klären und Noomi entscheidet sich für eine Rückkehr in ihre Heimat. Sie wird auf dem Weg dorthin noch ein Stück begleitet, bevor es zur Abschiedsszene und zu einer Überraschung kommt. Rut sagt nämlich im Gegensatz zu ihrer Schwägerin (Verse 16-17): “Ich kehre nicht um, ich lasse dich nicht allein. […] Nur der Tod kann mich von dir trennen!”
Der ausführliche Wortlaut ist ein eindrücklicher Treueschwur, aus dem auch heute noch gerne bei Trauungen zitiert wird. Interessanterweise geht es aber gerade nicht um zwei Ehepartner, sondern vielmehr – wie auch in der ebenfalls ergreifenden Parallele bei David und Ittai – um die Freundschaft zweier Menschen gleichen Geschlechts. Für Rut hat es also gerade nicht Priorität, dass sie schnellstmöglich wieder unter die Haube kommt! Dabei wäre das für sie als noch jüngere Frau ebenso vorgesehen wie die Rückkehr in ihr nicht-jüdisches Elternhaus. Aber davon hält sie offenbar wenig und rebelliert dagegen – vielleicht auch, weil sie selbst als alleinstehende Moabitin beim jüdischen Volk mehr Freiheit erhoffen darf. Noomis Gott sagt nämlich: Sorgt für die Witwen! Schützt die Fremden! Und so verbünden sich die beiden Frauen und liegen damit goldrichtig. Am Ende gewinnt Rut nämlich – ganz nebenbei sozusagen – sogar noch einen tollen Mann (und Noomi dadurch auch wieder ihre Altersabsicherung).
Naja – kommen Frauen-Vorbilder in der Bibel nicht trotzdem zu kurz?
Ein Ungleichgewicht besteht sicher im Hinblick auf die Anzahl weiblicher Geschichten insgesamt. An entscheidenden Stellen kann man allerdings auch einen Mangel an Männer-Vorbildern beklagen – z.B. bei Jesus am Kreuz: Abgesehen vom Gekreuzigten selbst wird konkret nur ein männlicher Freund genannt, der es dort mutig aushielt – im Kontrast zu mindestens vier treuen Begleiterinnen (s. Joh 19,25-27; vgl. Mk 15,40-41; Mt 27,55-56; Lk 23,49). Der verleugnende Petrus mit seinen brüchigen Beteuerungen hatte jedenfalls kein Rut-Format!
Wie hältst DU als Frau oder Mann dem sozialen Druck stand, wenn die Mehrheitskultur kein Verständnis für dich hat? Zu welchem alten Leben möchtest du wie Rut nicht mehr umkehren? (Vielleicht begegnet dir dabei auch eher Gleichgültigkeit, da es heute viel Toleranz gegenüber alternativen Rollen und Modellen gibt.) Was auch immer dich gerade an Veränderung herausfordert – ich bete, dass du sowohl anpassungsfähig als auch unangepasst mit dieser Mutprobe umgehen kannst!
Links zum Buch Rut
Von den Podcast-Serien des Projekts bibletunes gibt es die entsprechende hier zum Herunterladen (je 5-10 min; komplett gesprochener Text + kurzer Impuls). Einen Gesamtüberblick kriegt man, wenn man auf bibelwissenschaft.de den entsprechenden Bibelkunde-Artikel liest – oder durch folgenden Youtube-Clip von Das Bibel Projekt (7 min):
Dies war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf Bibel-Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich fahre inzwischen mit Etappe 6 fort und werde so in einigen Tagen einen kurzen Artikel zum Buch Ester schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Buch Rut würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!