Gottesvolk: 2 Abgrenzungen im Markusevangelium

Thema meines ersten Blogartikels zum Evangelisten Markus war der konfrontative und schockierende Jesus – und um diesen geht es auch hier ein weiteres Mal. Und zwar möchte ich bei einem Konflikt noch mal genauer hinschauen – nämlich bei demjenigen über die Frage: Wer definiert wie, ob jemand ‘jüdisch’ ist (oder nicht)? Dieses Problem ist im Evangelium zunächst ein relatives, wird dann aber zu einem absoluten: Es beginnt mit Gelehrten aus Jerusalem, die sich als ‘jüdischer’ betrachten im Vergleich zu Jesus und seiner galiläischen Schule. Grundsätzlich wurde Jesus aber nie abgesprochen, Jude zu sein. Im weiteren Verlauf kommen aber auch klar ‘nicht-jüdische’ Menschen ins Spiel. Dabei hebt Jesus nicht einfach jegliche Unterscheidung auf, macht die bisherige Trennung aber doch ziemlich zunichte. Er wendet sich den Fremden zu, die sich sonst mit einem klaren Nein von den Jerusalemer Gelehrten abzufinden haben. Und diese wiederum, die für sich von Jesus ein klares Ja einfordern, bekommen die kalte Schulter gezeigt. Die folgenden beiden Stellen führen vor Augen, wie auf der ‚Wanderkarte‘ des Volkes Gottes die Grenzverläufe sehr unterschiedlich eingezeichnet werden können.

1. Falsche Gebote und Gesetze

In Mk 7,1-23 geht es um die Frage, was einen Menschen verunreinigt. Für die Jerusalemer Gelehrten ist klar (Verse 1-5): Wir beweisen unsere Reinheit, indem wir vor dem Essen alles reinigen – Hände, Trinkbecher, Krüge, Töpfe, Sitzpolster. Für Jesus hingegen gehört das nicht zu den göttlichen Überlieferungen (V. 8). Beispiel für ein wirkliches Gebot Gottes durch Mose sei die Unterstützung hilfsbedürftiger Eltern – doch das werde durch die Vorschriften der Gelehrten entkräftet (V. 9-13). Heuchelei, mangelnde Herzensfrömmigkeit, menschliche Gesetze – so also der Vorwurf von Jesus, der dazu den Propheten Jesaja zitiert (V. 6-7). „Hört, was ich euch sage,“ ruft Jesus daraufhin zur bisher durch die Gelehrten anders informierten Menge (V. 14-15): „Nichts, was ein Mensch zu sich nimmt, kann ihn vor Gott unrein machen, sondern das, was von ihm ausgeht.“

Die Jerusalemer Gelehrten können sich zwar auf das Buch Levitikus berufen, wo Reinheit und Speisen sehr wohl miteinander zu tun haben – offenbar ist daraus aber ein falscher Fokus auf äussere Tadellosigkeit geworden. Darum will Jesus hier nicht weniger als eine radikale Korrektur (V. 17-19). Entscheidend sei vielmehr die innere Freiheit von allem Bösen (V. 20-23). Fazit: Hier wird – wie schon in den vorangegangenen Kapiteln – die Frage ‘Wer ist dieser Jesus?’ aufgeworfen. Ein so vollmächtiger Lehrer (und Wunderheiler) stellt wirklich alle(s) bisher in den Schatten! Jesus, der Tadler – ausgerechnet derjenigen, die als zweifellos jüdisch und damit als rein gelten? Jesus, der Befreier – ausgerechnet in den Städten nicht-jüdischer und damit als unrein geltender Menschen? Genau das ist nämlich der Punkt der weiteren Geschichten in diesem und im darauffolgenden Kapitel.

2. Böse Weinbauern und Bauarbeiter

In Mk 12,1-12 wird Gottes Volk mit einem Weinberg verglichen. Auch damit stellt Jesus einen Link zum Buch Jesaja her, woraus man diesen Vergleich bereits kannte. Im Fokus stehen hier allerdings die Weinbauern, an die der Weinberg verpachtet ist (Verse 1-8): Die Knechte, die im Auftrag des Weinbergbesitzers den vereinbarten Ernteanteil holen sollen, werden von den Weinbauern verprügelt oder getötet – ja, diese bringen sogar den einzigen und geliebten Sohn des Besitzers um! Dazu stellt Jesus eine Frage, die er gleich selbst beantwortet (V. 9): „Was, meint ihr, wird der Besitzer jetzt wohl tun? Er wird selbst kommen, die Weinbauern töten und den Weinberg an andere verpachten.“

Die Jerusalemer Gelehrten verstehen, dass sie von Jesus hier mit den Weinbauern verglichen werden (V. 12) – und mit den Bauarbeitern im hinzugefügten Psalmzitat (V. 10-11). Ihnen wird also vorgeworfen, dass sie aus der Stadt der Gerechtigkeit einen Ort des Ausgeliefertseins machen. Fazit: Das Volk bekommt hier – wie in den drei vorangegangenen und in den drei nachfolgenden Kapiteln – eine unerwartete Antwort auf seine Frage nach diesem Jesus. Ja – ihr habt es tatsächlich mit dem Messias zu tun, ABER mit einem leidenden! Ja – Gott wird den Weinberg an andere verpachten, ABER zuerst wird Jesus von den Weinbauern umgebracht! Darum handelt dieses und auch das vorangehende Kapitel von der Konfrontation zwischen Jesus und den bösen Gelehrten (sowie dem durch Böses verunreinigten Tempel) in Jerusalem.

Sind ‘falsch’ und ‘böse’ nicht zu stark (ab)wertende Bezeichnungen?

Ja – hier ist wirklich höchste Vorsicht angebracht! Ursprünglich wollten diese Texte ja die Macht bestimmter Gelehrter und ihrer Lehren aus einer Innenperspektive heraus kritisieren. Leider ist es aber sehr bald zu einer undurchlässigen Grenze zwischen dem ‘Messianischen/Christlichen’ und dem ‘Rabbinischen/Jüdischen’ gekommen. Letzterem wurde dann pauschal Falschheit und Bosheit unterstellt – mit schrecklichen Folgen bis hin zum nationalsozialistischen Völkermord. Dies ist natürlich ein gewichtiges Argument, warum man solche schwierigen Abschnitte in den Evangelien lieber überspringt. Und doch hat man auch guten Grund, sich das dann doch noch einmal eingehender anzuschauen!

Gerade im Hinblick auf den Nationalsozialismus könnte man hier auch eine Parallele ziehen: Damals wehrte sich die ‘Bekennende Kirche’ gegen böse ‘Deutsche Christen’ und ihr falsches Ziel der Gleichschaltung. Hier würden wir wohl kaum einwenden: Aber die hatten es doch nur gut gemeint und ja auch Richtiges gewollt! In solchen Situationen ist natürlich ein Nein in aller Schärfe notwendig. Und so war es eben auch bei Jesus, dem es (wie schon vor ihm den Propheten bis zu Johannes dem Täufer) um die Freiheit der Menschen in Jerusalem und Judäa ging (s. Mk 1,1-8) – um die Freiheit für den einen göttlichen Herrn, um die Freiheit von Sünden und anderen Herren! Wo siehst DU heute (1) christliche Gebote und Gesetze, die das Glauben und Lieben im Sinne Gottes entkräften? Welche (2) kirchlichen Weinbauern und Bauarbeiter würde Jesus heute konfrontieren? Der Heilige Geist möchte unbedingt, dass du da auf seiner Seite kämpfst – mit seiner entlarvenden Kraft. Dann kannst du nämlich sicher sein, dass Gott auch dich zu seinem Volk zählt.

Youtube-Favoriten zum Markusevangelium

Von Worthaus gibt es sowohl Interpretationen von Einzeltexten – z.B. Passion I (82 min), Passion II (101 min), Passion III (86 min) – als auch zwei Einführungsvorträge – einmal von einer Frau (80 min), einmal von einem Mann (73 min) – über das ganze biblische Buch. Auf dem Kanal von Sommers Weltliteratur to go findet man eine lustig mit Playmobil-Figuren inszenierte Kurzversion (11 min) des Evangeliums. Das Bibel Projekt wiederum bietet folgendes Eklärvideo, das (ernsthafter und) noch kürzer ist (6 min):

Das war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf biblische Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich selbst lese die Bibel gerade nach meinem Vertiefungsleseplan In 5 Etappen durch die Bibel und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Buch Exodus schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Markusevangelium würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!

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