Zum dritten der fünf Tora-Bücher habe ich bereits einen Blogartikel geschrieben, wo ich zeitlose Kultregeln herausgearbeitet habe. Um Regeln und die Frage, ob bzw. für wen solche heute noch sinnvoll sind oder nicht, geht es auch hier. Die Situation ist ja die, dass der HERR durch Mose damals zu den Israeliten sprach. Dieses Volk sollte besonders sein – anders als andere Völker wie z.B. die Ägypter oder die Kanaaniter. Um welche Unterschiede es da unter anderem ging, soll durch die folgenden beiden Beispiele näher betrachtet werden.
1. Ein anderes, weil konservativeres Volk?!
Nach freiheitlicher Demokratie klingt Kapitel 18 nicht gerade, wenn man z.B. die Rechtslage in Frankreich als Vergleich hinzuzieht. Dort ist Inzest grundsätzlich nicht strafbar, während hier der HERR sagt (Vers 6): „Keiner von euch darf mit einer nahen Verwandten schlafen.“ Wer dabei als zu ’nahe‘ gilt, wird darauf einzeln durchbuchstabiert (V. 7-18). Und wenn einer trotzdem mit seiner Mutter, Schwester usw. schläft (V. 28-29): Raus aus dem Land! Leben verwirkt! Nun sind wir vielleicht froh, nicht in einem so autoritären Gottesstaat zu leben. Für damals war das allerdings ziemlich fortschrittlich! Hier wird nämlich die Macht des Hausherrn begrenzt, so dass sich vor dessen Zugriff die Frauen in der erweiterten Familie sicherer fühlen konnten. Gleichzeitig geht es um noch mehr als um Schutzrechte für Menschen – nämlich um Gottes Rechte!
Immer wieder wird betont (V. 2, 4, 5 u. 30): „Ich bin der HERR“ – und damit NICHT wie z.B. ägyptische Götter. Diese lebten nämlich in Geschwisterehen (Osiris mit Isis, Seth mit Nephthys) und so tat man es auch innerhalb des pharaonischen Exklusivclubs – mit machtpolitischem Nutzen. Davon will der HERR sich und sein Volk distanzieren. Und auch sonst hat er genauere Vorstellungen davon, wo der Same eines Israeliten hingehört – nämlich nicht in eine Frau während ihrer monatlichen Blutung (V. 19), nicht in die Frau eines anderen Mannes (V. 20), nicht (nach der Geburt als Kindesopfer) zum Götzen Moloch (V. 21), nicht in einen anderen Mann (V. 22) und nicht in ein Tier (V. 23). Möglicherweise gab es entsprechende Mythen, in denen kanaanäische Götter „diese abscheulichen Dinge“ (V. 27) den Bewohnern Kanaans vormachten. Diese hätten sich selbst und das Land jedenfalls so verunreinigt (V. 24-25). Israel hingegen soll sich solche Sitten und Bräuche nicht zum Vorbild nehmen (V. 3), weil diese auch dem HERRN zuwider sind und man vielmehr nach dessen Weisungen und Geboten leben soll (V. 26).
2. Ein anderes, weil progressiveres Volk?!
Eigentlich ist der Grundgedanke von Kapitel 25 ein sehr traditioneller, indem vom Ruhetag weitere Rhythmen abgeleitet werden: Immer nach sechs Jahren des Bestellens, Beschneidens und Erntens soll das siebte ein Ruhejahr des Brachliegens für alle Äcker und Weinberge sein (Verse 2-7). Ein Mensch des 21. Jahrhunderts würde demgegenüber vielleicht darauf hinweisen, dass man inzwischen (durch Optimierung der Fruchtfolge) dauerbegrünte Felder als zukunftsweisend betrachtet. Es geht aber noch weiter, indem immer nach 49 Jahren (mit 7 Ruhejahren) das 50. ein Erlassjahr sein soll (V. 8-17). In diesem Jahr soll die Freiheit für Leute aus der Schuldsklaverei und der alte Grundbesitz wiederhergestellt werden. Es wird also klar, dass hier der soziale Gedanke im Vordergrund steht – darum auch Rechte zum Rückkauf (V. 23-34) und für Versklavte (V. 39-55). Was hier steht, ist nicht nur für damals revolutionär – nein, bis heute!
Die Begründung liegt in der israelitischen Offenbarungsgeschichte (V. 38): „Ich bin der HERR, euer Gott, der euch aus Ägypten geführt hat, um euch das Land Kanaan zu geben.“ Der HERR ist (im Gegensatz zu anderen Göttern) ein Anwalt der Verarmten und Fremden (und nicht nur ein Gott der zu Reichtum Gekommenen und Einheimischen)! Darum sagt er (V. 18-19): „Haltet euch an meine Ordnungen, richtet euch nach meinen Geboten! Wenn ihr danach lebt, werdet ihr in eurem Land sicher wohnen. Es wird reichen Ertrag bringen, und ihr habt genug zu essen. In Ruhe und Frieden könnt ihr dort leben.“ Es geht also nicht einfach nur um einen ordnungsliebenden, sondern vor allem um einen friedensliebenden Gott! Weil dessen Herzensanliegen soziale Gerechtigkeit ist, soll das auch für das Volk Israel von zentraler Bedeutung sein!
Warum kein Ja zu Homosexualität und kein Nein zu Sklaverei?
Das heutige Verständnis von Freiheit ist in der Tat so, dass Menschen weder wegen ihrer sexuellen Vorlieben diskriminiert noch wegen ihrer prekären Lebensumstände versklavt werden dürfen. In solchen Punkten wird die Bibel darum als rückständig wahrgenommen. Dass die Aufteilung in Herren und Sklaven weltweit letztlich überwunden werden sollte, liegt allerdings schon ziemlich deutlich auf einer Fluchtlinie mit dem Buch Levitikus oder auch mit dem Philemonbrief. Zu ziemlichen Verrenkungen führt es hingegen, wenn man den Wandel der öffentlichen Sexualmoral während der letzten Jahrzehnte biblisch herleiten möchte. Der im Vergleich zur jeweiligen Umwelt restriktivere Kurs zieht sich sowohl durchs Alte als auch durchs Neue Testament.
Zu einer differenzierteren Sicht auf Homosexuelle können weitere Überlegungen systematischer und praktischer Art durchaus führen. Aber das bedeutet dann: „Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Bibel zu diesem Thema entweder negative Aussagen macht oder schweigt. Ich gehöre auch nicht zum Volk Israel, sondern bin für mich theologisch zu folgender Überzeugung gekommen…“ – also mit eigenverantwortlichem Denken und eben weniger mit biblischer Sicherheit. Sicher ist allerdings, dass Jesus gegen die Verurteilung irgendeines Menschen ist (s. Mt 7,1-5; vgl. Lk 6,37-38 u. 41-42) – egal ob dieser Sex mit dem gleichen Geschlecht hat oder Versklavten nicht zum Recht verhilft. Letzteres dürfte heute jedenfalls nicht nur der ‚Splitter‘ z.B. eines Zuhälters sein, sondern uns sehr wohl auch auf unseren eigenen ‚Balken‘ beim globalen Konsum hinweisen. Womit hat Gott DICH hier angesprochen? Mit seinen Rechten hinsichtlich (1) deiner Sexualität oder (2) deiner sozialen Verantwortung? Ich bete, dass du – wo auch immer es nötig ist – durch die Kraft des Heiligen Geistes gegen den Strom schwimmen kannst!
Youtube-Favoriten zum Buch Levitikus
Von Sommers Weltliteratur to go gibt es einen kurzweiligen, mit Playmobil-Figuren lustig gespielten Überblick (8 min). Das Bibel Projekt wiederum hat ein themenbezogenes Video veröffentlicht, in dem die Heiligkeit Gottes anschaulich erklärt wird (6 min):
Das war ein Blogartikel im Rahmen meines eigenen Projektes 8etappen.net und ich hoffe, er hat Lust darauf gemacht, auch selbständig auf biblische Entdeckungsreise zu gehen! Fange doch auch mit Etappe 1 an und folge mir in deinem eigenen Tempo! Ich selbst lese die Bibel gerade nach meinem Vertiefungsleseplan In 5 Etappen durch die Bibel und werde so in ein paar Wochen einen kurzen Artikel zum Lukasevangelium schreiben sowie hier veröffentlichen. Deine Bemerkungen zum Buch Levitikus würden mich übrigens auch sehr interessieren – Kommentieren ist also höchst erwünscht!!