Vierte These: In der Bibel trifft man auf Orte, wo betende und ersehnende Menschen ihren Gott antreffen.
Reise mit kultischer Leidenschaft
Hawaii ist ein klassisches Beispiel für ein Sehnsuchtsziel, wohin viele Menschen mindestens einmal in ihrem Leben reisen möchten. Andere fiebern auf eine Auszeit hin, während der sie unbedingt nach Santiago de Compostela pilgern wollen. Als biblische Wallfahrt schlechthin begegnet uns diejenige zur Zionsstadt Jerusalem – zum Zentrum des Segens, der Gerechtigkeit und des Dankes. Beten kann man in der Bibel allerdings auch an Orten im übertragenen Sinn – z.B. wo immer man gerade gefordert, überfordert oder unterfordert ist.
Identitätsstiftende Stätten gibt es in der biblischen Vorgeschichte ganz viele – z.B. Erinnerungsorte wie Gilgal im Jordangraben oder Sichem in Mittelpalästina. Allerdings wurde kein Ort für den Kult so wichtig wie Jerusalem. Dort wurde DAS Heiligtum errichtet, dort wurden Opfer auf DEM Altar dargebracht. Gleichzeitig entstanden auch Regeln, die JEDEN Tisch zu einem heiligen machen sollten. Man zelebrierte also z.B. an den jährlichen Festen zentral Rituale zur Pflege von Beziehung sowohl innerhalb Israels als auch mit dessen Gott, während man auch dezentral z.B. am wöchentlichen Schabbat das Fleisch in Ehrfurcht vor dem Heiligen konsumierte.
Im Verlauf der Geschichte gab es immer wieder prophetische Aufträge und Berufungen, die auf Jerusalem bzw. auf die Menschen dieser Stadt ausgerichtet waren: Mal war es eine Botschaft an die Abgestumpften, mal eine an die Entwurzelten, mal an die Eingepflanzten. Um den Wiederaufbau des Tempels und der Stadtmauer nach der Zerstörung drehte sich viel Beten und Fasten – z.B. die Bitte um Schutz oder um Gnade. All dieses leidenschaftliche Engagement ist nur dann nachvollziehbar, wenn es sonst wirklich keinen gleichrangigen Treffpunkt für das jüdische Volk und dessen göttlichen Herrn geben konnte.
Vollendung des Gotteshauses
In der Reihe der Propheten, die nach Jerusalem gesandt wurden, steht auch Jesus. Und doch geht seine Sendung besonders deutlich darüber hinaus: Er vollendet Gottes Mission als Retter der ganzen Welt durch einen letztlich ortsunabhängigen Glauben und führt sogar den römischen Statthalter Pilatus vor, indem dessen Gewalt offenbar durch ein nicht von der Welt stammendes Königtum relativiert wird. Wer sich also an Christus (an der rechten Seite Gottes) orientiert, lenkt seine Gedanken auf das geheimnisvoll Verborgene oben (und nicht auf die irdischen Dinge). Dass man hörend bleibt, verbunden ist, frei wird – das sind die Leitlinien für diejenigen, die zuversichtlich an einer solchen Hoffnung festhalten wollen.
Sogar schon Jahrhunderte vor Jesus wurde (der Tempel von) Jerusalem zum Bild für das Endgültige. Eines Tages soll nämlich das Umgekehrte geschehen: Die Völker werden das Haus Gottes dann nicht zerstören und plündern, sondern es prächtig schmücken und dem göttlichen Weltherrscher ihre ganzen Schätze bringen. In der zukünftigen Stadt wird man alles Ersehnte finden – Freude, Friede, Fülle. Die Vision von einem neuen Jerusalem begann also mit einem bestmöglichen Diesseits und wurde dann noch einmal ausgeweitet durch das Leben in einer himmlischen Wirklichkeit, in das Jesus durch den Tod hindurch vorangegangen ist.
Viertes Fazit: Eine auffallende Konstante der Bibel ist das Gebet im Sinne der Frage danach, wo im hiesigen Leben man Gott finden kann. Dabei dürfte man aber auch bemerken: Warum haben viele Menschen, die sich für biblisch orientiert halten, so wenig Sehnsucht nach diesem Aufeinandertreffen von Himmel und Erde?
Thematisch relevante Links
Das Bibel-Projekt hat einige Clips zur Frage, wo Gott und Mensch einander treffen, auf dem eigenen Youtube-Kanal veröffentlicht. Der Tempel (5 min) wird als ein göttliches Zuhause beschrieben, dem das Exil (5 min) als Ort der Entfremdung gegenübersteht. Und folgendes Video präsentiert als zentrales biblisches Thema die Zusammenführung von Himmel und Erde (6 min):
Mit meiner vierten Antwort auf die Frage „Was steht in der Bibel?“ bin ich nun wirklich am Ziel meines Projektes 8etappen.net angekommen – und doch noch nicht am Ende! Morgen werde ich noch eine Kurzversion aller vier Antworten veröffentlichen und dann auch verraten, wie es weitergeht. Heute verbleibe ich mit meiner Einladung an DICH, selbst bei Etappe 1 anzufangen und mir durch die Bibel zu folgen. So findest du nämlich gleich aus erster Hand heraus, was wirklich „biblisch“ ist. Vielleicht haben meine Blogartikel dich ja angeregt, selbst nachzuforschen…